Tausend einzig richtige Reitlehren
Es gibt nur eine richtige Art sein Pferd auszubilden. Das zumindest erzählt mir jeder, den ich dazu frage, dessen Buch ich dazu lese oder dessen Film ich dazu sehe. Meist ist es seine eigene. Aber wenn jeder die einzig richtige hat, was soll ich dann mit dieser Information anfangen? Der eine schwört auf positive Bestärkung, der nächste auf klare Kommunikation. Die einen werfen dem anderen vor Druck sei psychische Gewalt, die anderen sehen verweichlichte und vermenschlichte Pferde heranwachsen.
Zunehmend verwirrt habe ich mich in den letzten Monaten mit den verschiedensten Lehren beschäftigt. Und wusste am Ende nicht mehr wohin ich jetzt laufen sollte. Überall stolperte ich über Informationen, Tipps und Ansätze, die mir sinnvoll erschienen. Aber wenn ich das nächste Buch aufschlug, dann begegneten mir dort wieder andere Aspekte. Die Anhänger der einen verteufeln zumeist die andere Lehre und umgekehrt. Man muss sich also schon für einen Weg entscheiden.
Aber muss ich das wirklich?
Ich muss mich entscheiden… Aber wer sagt das eigentlich? Ja, wir müssen in unserer Kommunikation konsistent sein, wir müssen konsequent sein und es gibt jede Menge Lektionen, die unser Pferd in allen Lehren lernen muss. Wenn uns das gelingt, warum sollten wir uns dann vor Ideen verschließen, die uns einleuchtend erscheinen? Nur weil sie aus der anderen Richtung kommen? Ich weiß nicht, ist das für Dich ein Argument? Mal angenommen ich praktiziere Natural Horsemanship nach Parelli und stelle irgendwann fest, dass Hufe geben bei meinem Pferd mit Leckerli und positiver Bestärkung plötzlich zum Zuckerschlecken wird. Sollte ich mich gegen diese Erkenntnis dann trotzdem verschließen, weil ich ja NHS-Anhängerin bin? Oder sollte ich eher die Ideen, mit denen ich bei meiner Reitbeteiligung so großen Erfolg hatte über Bord werfen und zum Clickertraining überlaufen? Nein, ich werde nichts von beidem tun.
Worauf kommt es bei der richtigen Reitlehre eigentlich an?
Denn kommt es im Grunde nicht einzig und allein darauf an den für uns besten Weg zu finden? Wenn wir mit dieser „Methode“ eine Übung ganz leicht und mit Zufriedenheit auf beiden Seiten lernen können und mit einer anderen „Methode“ eine andere Übung – warum sollte ich mich dann für einen Weg entscheiden? Wichtig ist dabei natürlich, dass wir in unserer Kommunikation konsistent bleiben – aber unsere Pferde sind nicht doof. Wenn wir sie wegschicken, weil sie uns zu nahe gekommen sind und begeistert loben, wenn sie uns den Huf brav hinhalten, dann können sie das sehr wohl unterscheiden. Dass die Gesundheit meines Pferdes dabei an allererster Stelle steht, ist dabei selbstverständlich. Und auch das ist ein Grund für mich, mich bei verschiedenen Reitweisen und -lehren umzusehen. Es ist meine Pflicht, mich unfassend zu informieren. Und dabei darf ich mich doch nicht von unsichtbaren und künstlich erschaffenen Wänden aufhalten lassen. Wenn eine Übung aus der englischen Dressur mein Pferd gymnastizieren kann, warum sollte ich mit meinem western-gerittenen Pferd dann darauf verzichten?
Es gibt nur eine richtige Art sein Pferd auszubilden. Die Art des Pferdes.
Dass Pferde verschiedene Persönlichkeiten haben, wird heutzutage kaum noch jemand bestreiten. Dass Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten haben erst recht nicht. Warum sollte es dann den einen richtigen Weg für alle geben? Ich meine die Frage ganz ernst. Nach all dieser Verwirrung und Richtungslosigkeit hat mir dieser Gedanke Freiheit gebracht. Warum sollte ich mich nicht aus verschiedenen Lehren bedienen und gucken, was für uns beide am besten funktioniert? Und was in der jeweiligen Situation am besten funktioniert… Ich finde es nur konsequent uns nach bestimmten Grundsätzen zu richten und dabei von allem zu profitieren was uns weiter bringt – egal aus welcher Lehre es stammt.
Warum ich mich nicht entscheiden will.
Diese Grenzen zwischen den Ausbildungswegen sind menschgemacht. Natürlich sind das die Ausbidungswege selbst auch. Aber letztere sind letztlich nur Akkumulationen verschiedenen Wissens und teilweise auch nur verschiedene Interpretationen desselben Wissens. Die strikten Grenzen zwischen diesen Interpretationen sind aber meines Erachtens oft aus menschlichem Schubladendenken entstanden. Und davon möchte ich mich nicht davon abhalten lassen einen besseren Weg für Soudi und mich zu finden.
Wie finde ich aber jetzt heraus was der beste Weg für uns ist?
Diese Erkenntnis, die Entscheidung mich nicht für eine Lehre zu entscheiden und für Einflüsse aus allen möglichen Richtungen offen zu bleiben, macht es mir natürlich oft auch reichlich schwer. Wenn Du Dir meine Bücherliste anguckst, dann ahnst Du sicher, wo das Problem liegt, oder? Wenn man sich nicht für eine Richtung entscheidet, dann sind die Wege ziemlich weit und verschlungen. Aber wir müssen diesen Weg ja zum Glück nicht alleine gehen. Inzwischen gibt es einige gute Pferdemenschen aus verschiedenen Richtungen, die uns Impulse liefern und Anregungen geben. Das hilft uns dabei unseren eigenen Weg zu finden. Natürlich muss ich immernoch viel lesen, viel lernen und unheimlich viel selber grübeln. Aber wenn ich Soudi so glücklich sehe und wir so entspannt und fröhlich miteinander umgehen können, dann weiß ich, dass ich die eine richtige Reitlehre für uns gefunden habe. 🙂
Wie reitest Du? Hälst Du Dich an eine Lehre und warum? Oder schaust Du Dich auch bei anderen um?
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*Header-Fotos: Andreas Krappweis, Irina Shreiner
7 comments
Liebe Sophie,
das sind schöne Denkanstöße. Ich für mich habe entschieden, dass ich einfach auf Parcival höre. Der kleine Mann weiß genau wie er ausgebildet warden möchte und für mich ist Parcival der Maßstab. Ich arbeite zwar hauptsächlich nach dem Clickertraining und kann den Dominanztheorien nichts mehr abgewinnen. Aber ich höre einfach auf das was für Parcival in Ordnung ist. Wie beim Hufe geben sagt er mir schon, ob ich auf dem richtigen Weg bin und korrigiert mich, wenn es seiner Meinung nach notwendig ist. Jedes Pferd und jeder Mensch ist anders und mit einem liebevollen und offenen Blick seinem Partner Pferd gegenüber kann man denke ich seinen individuellen Weg finden.
Liebe Grüße
Miriam
Liebe Miriam,
das hast Du total schön auf den Punkt gebracht. „Die Dominanztheorien“ haben auch unterschiedliche Gesichter und für manche Pferde haben manche Ansätze daraus durchaus eine Menge für sich. Ich versuche da wirklich offen zu bleiben. Ich weiß was ich nicht tun würde und halte mich daran. Ein paar Grundsätze müssen natürlich sein. Aus meiner Sicht machen für unterschiedliche Übungen teilweise auch unterschiedliche Herangehensweisen Sinn. Wichtig ist für mich immer darauf zu achten was Soudi dazu sagt… 🙂
Liebe Grüße,
Sophie
Im Forum der Akademischen Reiter auf Facebook schrieb einer „Es gibt nur zwei Reitweisen. Eine richtige und eine falsche.“ Das fand ich irgendwie nett, da jeder richtig und falsch selbst für sich definieren kann. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, wie ich ideologisch werde, und manche Dinge aus Prinzip einfach ablehne.
Ich finde, jeder sollte tun, was er selbst als richtig empfindet, und gleichzeitig anderen dabei deren Meinung zugestehen. Dann wird die Welt ein Stückchen friedlicher. Zumal aus den schärfsten Zungen häufig die größte Unsicherheit spricht. Wenn ich von meiner Sache überzeugt bin, muss ich mich nicht angegriffen fühlen, wenn jemand einen anderen Weg einschlägt. Für mich war das ein Lernprozess. 🙂 VG!
Genau! 🙂 Mehr Toleranz würde unserer Pferdewelt auf jeden Fall gut tun, finde ich. Nicht Toleranz gegenüber Gewalt oder unfairem Umgang, aber Toleranz gegenüber unterschiedlichen Ansätzen. Dann würden wir auch alle besser vorankommen, da bin ich total sicher. Weil man von anderen Ideen immer was lernen kann. Selbst wenn man sie für sich abwandelt. Wenn wir weniger mit unseren Ideologien beschäftigt wären und uns stattdessen mehr mit unseren Pferden beschäftigen würden…das wäre schön! 🙂
Liebe Sophie
Es gibt natürlich nicht eine „Methode“, die in jeder Situation mit jedem Pferd an das gewünschte Ziel führt. Aber es gibt EIN wichtiges Auswahlkriterium dafür, um zu entscheiden, wie ich mit meinem Pferd (und auch mit anderen Tieren) arbeite: Nämlich, dass ich physischen und psychischen Druck (der in vielen sogenannten „gewaltfreien“ Trainingsmethoden verwendet wird) immer versuche zu vermeiden. Manchmal muss man ein Tier auch maßregeln, aber das sollte NIE die ERSTE Wahl im Training sein und wenn man es anwendet, muss man einschätzen können, in welcher Form und Intensität — abhängig von der Persönlichkeit des Tieres –, man es möglichst dezent maßregelt, ohne die vertrauensvolle Beziehung zum Tier zu gefährden . Wenn man sich an diesem Kriterium orientiert, kann man schon oftmals einige „Methoden“ als nicht tiergerecht herausfiltern. Außerdem gibt es zwar nicht DIE Methode, aber es gibt DIE Lernprozesse beim Tier, die nicht abhängig von irgendeiner Meinung sind und deswegen auch nicht relativ, sondern objektiv. Auch an diesen objektiv bestehenden Lernprozessen des Tieres sollte man sich im Training orientieren.
Liebe Grüße
Luise (www.cavalupo.blogspot.de)
Liebe Luise,
da bin ich ganz bei Dir! Ich will auf keinen Fall sagen, dass wir jetzt alle einfach nach Gutdünken loslegen sollten. Es gibt einige Grundlagen (z.B. der Lernpsychologie und der Biomechanik), die all unseren Ansätzen zu Grunde liegen müssen. Gewaltfreiheit ist sowieso das oberstes Gebot und genauso wie wir offen gegenüber „fremden“ Methoden sein sollten, sollten wir auch allen Lehren immer mit gesunder Skepsis gegenüberstehen. Das heißt wir sollten alles hinterfragen was wir tun oder in Erwägung ziehen. Aber wir dürfen meines Erachtens eben auch nicht in „unserer Lehre“ verharren, weil das vielleicht so gefordert wird. Viel mehr als auf irgendeinen „Guru“ sollten wir eben auf unser Pferd hören. Wenn man das aufmerksam tut, dann merkt man auch schnell wo man (vielleicht sogar unbewusst) Druck anwendet und vielleicht einen anderen Weg gehen sollte.
Liebe Grüße,
Sophie
Hallo Sophie,
ich sehe es absolut wie du- als Pferdemutti richte ich mich im Bezug auf die Reitweise nach meinem Pferd.
Als Bsp.: ich habe vor 3 Jahren meinen Traberwallach bei einem Pferdehändler entdeckt.
Speedy ist 8 Jahre Trabrennen gelaufen und kannte bis dato keinen Reiter.
Nach langem Muskelaufbau durch Bodenarbeit und dem Trainieren von Balance haben wir mit dem Reiten begonnen. Der größte Fehler den ich meiner Meinung nach hätte machen können, wäre gewesen ihn in eine Form zu drücken. Mein Speedy passt nicht in die Vorstellung einer englischen Dressur und vom Körperbau her auch absolut nicht in die Vorstellung eines Westernpferde, etc…
Ich kann und will meinen Kumpel nicht dazu zwingen seinen Kopf weit runter zu nehmen- er musste 8 Jahre mit dem Kopf oben auf Trabbahnen laufen- so funktioniert das nicht.
Natürlich kommen die Ratschläge/Kommentare wie falsch doch mein Pferd läuft etc…
Aber ich muss es langsam angehen lassen und mit seinen heute 18 Jahren verlang ich ihm auch keine A-Dressur mehr ab.
Wir genießen nun Wald und Wiesen, Stoppelfelder und ab und an unseren Reitplatz, machen viel Bodenarbeit und hin und wieder Zirkuslektionen… Solange wir beide gut miteinander auskommen ist mir auch egal was die anderen sagen. Seit 1 Jahr können wir nun auch endlich galloppieren- darauf sind wir stolz.
An mein Pferd kommen keine Ausbinder, wir brauchen kein Glitzerspray im Fell und vor allem brauchen wir keine Ratschläge von Leuten die es eh nicht besser wissen 🙂
Wir haben uns und das ist die Hauptsache 🙂
Wir haben unser eigenes kleines Paradies direkt am Waldrand und natürlich auch eine pferdische Mitbewohnerin(Haflinger Susi)
Ganz herzliche Grüße von uns 🙂