Ob das nur mir so geht? Manchmal denke ich, ich müsste jetzt was machen. Ich müsste jetzt anfangen auf diese oder auf jene Art zu arbeiten. Weil man das doch eben so macht.
Der Individualabstand
Einmal dachte ich, ich müsste jetzt üben, dass Soudi den Distanzabstand einhält. Weil das doch so wichtig ist und weil man das doch eben üben muss. Und dann stand ich da und hätte ihn wegschicken sollen. Aber als er zu mir kam, da kam er doch als Freund – mit Respekt. Dieses Pferd hat mich noch nie angerempelt, wenn er in meinen Individualbereich kommt, dann immer vorsichtig und wenn ich sage stopp, dann hält er. So ein Pferd muss man doch nicht wegschicken, oder?
Stattdessen streichle ich ihm über die warme Nase, kraule seinen Hals und lasse ihn meine Haare verwuscheln. Dann winke ich ganz leicht auf seine Brust und er geht ohne zu zögern rückwärts. Er bleibt stehen und wartet, bis ich ihn wieder zu mir einlade. Wir kuscheln wieder und entspannen zusammen.
Druck weichen
Ein andernmal denke ich, ich müsse ihm nun beibringen, dass er Druck weichen muss. Ich hole Soudi, wir gehen auf den Platz oder ins Roundpen und jetzt müsste ich Druck machen…
Aber ich stehe da, mit der Peitsche oder der Gerte in der Hand und kann nicht. Alles fühlt sich falsch an. Ich müsste jetzt Druck machen bis er läuft, aber ich kann ihm kaum in die Augen sehen bei dem Gedanken mit der Peitsche nach ihm zu schlagen (selbst nur in seine Richtung). Sowas macht man doch nicht mit einem Freund?
Soudi steht da und sieht mich an. Ein paar Meter entfernt. Ich fange an in eine Richtung zu gehen und auch er geht los. Als ich anfange auf der Stelle zur traben, beschleunigt er und trabt ebenso. Ich lobe ihn begeistert und er sieht stolz aus – und froh. So wie man sich wünscht seinen Freund zu sehen. Beim nächsten mal verfolgt er jede meiner Bewegungen, spiegelt mich aufmerksam und wir beide sind glücklich mit dem was wir tun.
Ein schlechter Tag ist ok…
Klappt das immer so? Nein, auch Soudi hat mal einen schlechten Tag oder keine Lust. Einmal dachte ich, ich müsste mich dann durchsetzen, schließlich darf man das doch nicht durchgehen lassen, oder? Aber dann habe ich ihm in die Augen gesehen, und die sahen nicht nach „nie mehr“, sondern nach „heute bitte nicht“ aus. Und es gibt doch Tage, an denen ich auch nicht mag. Da haben wir es gelassen und standen stattdessen gemeinsam in der Sonne und haben geschmust. Am nächsten Tag sind wir gemeinsam gelaufen und Soudi hat begeistert jeden Trick vorgeführt, den er gelernt oder sich abgeschaut hat.
Wenn es sich falsch anfühlt, dann ist es das auch – zumindest für euch
Ich pfeif drauf, wie man „es nunmal macht“. Ich zwinge mich nicht mehr dazu, Dinge zu tun, die sich falsch anfühlen. Es mag sein, dass dieses oder jenes für ein anderes Pferd und vielleicht auch einen anderen Menschen das richtige ist. Für uns ist es das nicht und das Tolle am Pferdebesitzer-sein ist ja, dass man selbst entscheidet was man tut und was nicht. Ich habe eine ganze Weile gebraucht um etwas ganz wichtiges zu begreifen: Wenn es sich falsch anfühlt, dann ist es das auch – also lass es! Such einen anderen Weg – und wenn das sonst niemand so macht, dann ist das egal, solange es für euch beide funktioniert.
Soudi hat mich immer wieder auf unseren Weg zurückgeführt und mir jeden Irrweg verziehen. Er ist das netteste, sanfteste, freundlichste und höflichste Pferd das ich kenne. Das ist vor allem sein Verdienst und ist tief in seinem Wesen verankert. Aber vielleicht kommt es auch ein bisschen davon, dass ich ihm genau so begegnet bin: Nett, sanft, freundlich, höflich – mit Respekt. Welchen Grund sollte er haben, mich anders zu behandeln?
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6 comments
Wie wahr! Da hast du absolut Recht. Anfangs hat mir auch jeder gesagt, dass Carey alt genug ist eingeritten zu werden. Dass sie so dominant und selbstbewusst sei, dass ich sie in ein oder zwei Jahren noch schlechter händeln könne, wenn ich jetzt nicht loslege… Da sie mein erstes Jungpferd ist, haben wir am Boden angefangen zu arbeiten. Dann gab es eine Winterpause und eigentlich wollten wir dieses Frühjahr mit 4 Jahren loslegen. Die Pferdephysio hat sie auch untersucht und das Go gegeben für dieses Frühjahr… Tja, und dann hatte ich diese Pause und Zeit in mich zu gehen, nachzudenken – und ohne all die Stimmen um mich herum war mir plötzlich klar, dass das für Carey noch zu früh ist. Dass wir erst mit 5 oder 6 anfangen werden. Und es fühlt sich richtig gut an. Manchmal brauchen wir dieses Stop um nachdenken zu können, um unseren Weg zu finden – weil wir oft in einer Mühle laufen und mitlaufen und gar nicht dazu kommen mit einem eigenen Blick auf die Dinge zu sehen. Ich finde super, dass du dich nicht beirren lässt. Carey soll übrigens auch Gebisslos angeritten und später geritten werden. Vorausgesetzt, dass sie sich wohl fühlt damit. Es soll ja auch Pferde geben, die auf dem Gebiss kauen wie bei uns Kaugummi und den Druck auf Nase und Genick nicht mögen. Okay, dann eben mit Gebiss. Aber ich kann dein Gefühl verstehen und möchte, wenn Carey das auch so sieht, unbedingt gebisslos bleiben. Und die Altcalifornischen Meister haben ganz bewusst mit Bosal gestartet – wegen der Zähne zum Beispiel. Liebe Grüße an deinen Süßen und dich, Petra
Ja, solange die Stimmen um uns rum sind ist es oft schwer ihnen zu widerstehen. Aber wenn man dann mal allein ist. Oder allein mit seinem Pferd, dann sind die Dinge oft viel klarer. Ich finde es toll, dass Du auf Deine innere Stimme hörst und auf Carey, denn das sind die beiden, die die wichtigsten Ratgeber sind! 🙂 Das heißt ja auch nicht, dass Du nichts mit ihr machen kannst – weshalb auch da Argument für mich einfach Quatsch ist, dass Du sie „in zwei Jahren noch schlechter handeln kannst“. Du arbeitest ja mit ihr und ich glaube, dass sich diese Zeit im Gegenteil noch sehr auszahlen wird, wenn ihr dann tatsächlich ans Reiten geht. Aber genau dieses Argument habe ich ja auch schon zu hören bekommen. Und da wurde mir dazu geraten Soudi DIESES (!!!) Jahr anzureiten. Man kriegt einfach so viel Unsinn geraten, da muss man sich am Ende auf sich selbst verlassen. Und was Du zum Gebiss/Gebisslos Reiten schreibst stimmt natürlich. Sollte ich feststellen, dass Soudi mit Gebiss vorzieht, dann werde ich mich dem gerne fügen. Aber das ist auch etwas wo ich mir vorgenommen habe auf ihn zu hören – und nur auf ihn. 😉
Liebe Sophie,
wie oft geht es mir auch so.
Ich gehe mit Parcival einen anderen Weg als alle anderen um mich rum und auch wenn mein Pony mir täglich zeigt, dass der Umgang den ich habe für UNS gut so ist, zweifle ich immer wieder. Sollte ich nicht strenger mit ihm sein, sollte er mit vier Jahren nicht endlich mehr können usw. Dann schau ich mir mein freches, fröhliches Ponykind an und weiß wieder, es ist gut wie es ist. Ja, andere sind vielleicht schneller, aber für uns passt es so. Es ist unser Weg, der zu meinem Pony und mir passen muss. Ich mag ihn nicht strafen, wegschicken und mich durchsetzen. Ich möchte, dass wir Freunde sind und es funktioniert für uns.
Liebe Grüße
Miriam
Liebe Miriam,
Das ist doch das allerwichtigste: Dass es für euch funktioniert. Und mir geht es da genauso wie Dir. Wir sind Freunde. Und da kann mir noch so oft jemand erzählen, dass es das nicht geben würde. Soudi ist freundlich und respektvoll mit jedem auch ohne dass ich ihn jemals wirklich gestraft hätte oder ständig wegschicken würde. Wenn Grenzen nötig sind, dann bekommt er sie. Und ansonsten erarbeiten wir uns einfach alles gemeinsam und begegnen uns mit Respekt. Damit sind wir schon so weit gekommen und ich glaube dieser Weg wird für uns auch in Zukunft funktionieren. Trotzdem ist es manchmal schwer die Zweifel zu ersticken…
Ich wünsche euch auf eurem gemeinsamen Weg auch weiterhin ganz viel Erfolg (was für euch Erfolg bedeutet) und Unbeirrbarkeit!
Liebe Grüße,
Sophie
Hallo Sophie,
hachja diese Stimmen um uns herum.
Wie unsicher ich dadurch geworden bin… Dauernd stelle ich mir Fragen wie: muss ich strenger sein? Darf sie das jetzt? Darf sie frech und ungestüm sein? Und die wohl am meisten gestellte Frage in meinem Kopf: bin ich bereit und gut genug sie zu erziehen?
Aber im Endeffekt entscheiden wir da gemeinsam drüber.
Meine ronja ist jetzt fast zwei und eine überaus starke Persönlichkeit. Die sie aber eigentlich so gesehen erst durch meinen Umgang mit ihr geworden ist, vorher war sie eher schüchtern und ein Duckmäuschen.
Sie zeigt unheimlich deutlich, wenn ihr etwas nicht passt. Manchmal muss man es ernst nehmen und manchmal sind es Sachen wie: Du willst nichr, dass ich am Wegrand gras fresse? Gut ich kann auch schnappen und buckeln am Strick… 😀
Für mich fühlt es sich zum Beispiel falsch an mein Pferd zu strafen, weil es rumalbert, damit verbiete ich eher ihre kindlichkeit als, dass ich sie erziehe.
Wir erziehen uns also gegenseitig und ich finde, dass gehört auch zu einer Freundschaft.
Liebe Grüße
Liebe Sophie,
aus der Erfahrung mit 2 Pferden heraus finde ich besonders deine Aussage „Wenn es sich falsch anfühlt, dann ist es das auch – also lass es! Such einen anderen Weg “ sehr zutreffend, den je mehr der Mensch lernt, auf sein Pferd zu hören, desto mehr wird die Zusammenarbeit zu Teamwork mit Spaß und Erfolgserlebnissen für beide.
Unabhängig davon, welche Ziele man mit seinem Pferd erreichen möchte, sind für mich im Umgang und in der Zusammenarbeit mit Pferden 3 Dinge besonders wichtig:
1. Die Persönlichkeit und Veranlagungen seines Pferdes und auch die Tagesform respektieren.
2. Sein Pferd beobachten und ehrlich reflektieren, ob man auf dem richtigen Weg ist. Auch das Bauchgefühl beachten.
3. Sich Wissen aneignen, Alternativen ausprobieren, üben und keine Angst vor Fehlern haben, aber aus ihnen Lernen.
Liebe Grüße,
Corinna