Meine Geschichte.
M
eine Kindheit war voller Pferde. Wenn wir Auto gefahren sind, habe ich meine Eltern über jedes gesichtete Pferd informiert, an dem wir vorbei gefahren sind. Ich habe Pferdezeitschriften gelesen, regelmäßig den Pferdemarkt gekauft und unseren Garten zum Pferdeparadies umgeplant. Statt mit Barbies habe ich mit Barbiepferden gespielt und mein Lieblingsfilm war „Der schwarze Hengst“. Wenn ich mich beim Autofahren gelangweilt habe, habe ich mir vorgestellt, wie ich auf dem Schwarzen nebenher galoppiere – es war wie fliegen. Ich träumte davon, zur berittenen Polizei zu gehen und hatte dafür schon alle Voraussetzungen und Karrierewege recherchiert. Wenn wir meine Großeltern besuchten, fuhr ich jeden Tag mit dem Fahrrad zu einer Pferdewiese und schaute stundenlang den Pferden zu. Das einzige, was ich jemals wirklich gut zeichnen konnte, waren Pferde. Ich lernte jeden Knochen und jeden Muskel zu schraffieren und habe in meinem Leben bestimmt tausende Pferde gezeichnet. Ich schaute begeistert alles im Fernsehen, was irgendwie mit Pferden zu tun hatte und las hunderte Bücher zu allen Themen rund ums Pferd. Ich konnte hunderte Rassen bestimmen, schrieb Einkaufslisten und Kostenpläne für mein erstes eigenes Pferd…
Kurzum: Ich war besessen von Pferden – ein ganz normales Pferdemädchen eben.
Aber leider nicht ganz. Denn all das spielte nur in meinem Kopf.
In Wirklichkeit konnte ich mich einem Pferd kaum auf 10 Meter nähern. Als ich noch ganz klein war, war noch alles in Ordnung. Ich ging mit meiner Mutter Pferde füttern und freute mich schon als Kleinkind über die warme Pferdenase an meiner Hand. Wo immer Pferde waren, mussten meine Eltern mit mir hin. Und so kam es, ich muss ungefähr 4 oder 5 gewesen sein, dass ich eines Sommertages bei einem Kirchenfest in unserer Nachbarschaft in eine Kutsche stieg. Ein freundlicher Haflinger fuhr die begeisterten Kinder eine kleine Runde um die Kirche, nicht mehr als ein paar Hundert Meter. Als wir wieder am Ausgangsort ankamen, war mein Gesicht krebsrot, alles juckte, meine Augen waren aufgequollen und ich bekam kaum noch Luft. Das war das letzte Mal für eine sehr lange Zeit, dass ich so nah an ein Pferd kam. Ich hatte eine so schlimme Pferdeallergie, dass ich ihre Nähe nicht einmal unter freiem Himmel und ohne sie anzufassen aushalten konnte. Tatsächlich war es so schlimm, dass ich schon Atemprobleme bekam, wenn meine beste Freundin aus dem Stall kam und noch ihre Stallklamotten anhatte.
Wenn ich das jetzt hier so aufschreibe, wird mir erst so richtig klar, wie tragisch das eigentlich war. Meinen Eltern muss es das Herz gebrochen haben. Zum Glück ist so ein Kinderherz ganz schön stabil und die Phantasie eines Kindes nahezu unzerstörbar. Und so ist mein eigenes kleines Pferdemädchen-Herz zum Glück trotz allem heil geblieben. All das was ich oben geschrieben habe, die Einkaufslisten, die Filme, die Zukunftspläne, all das habe ich trotz meiner Allergie gemacht. Trotz meiner Allergie zauberte mir jedes Pferd, das ich von weitem gesehen habe, ein Strahlen ins Gesicht.
Auch wenn ich ihnen nie nah sein konnte, waren Pferde für mich das Schönste auf dieser Welt.
Kinder sind ja unheimlich gut darin, sich auf das Gute zu konzentrieren. Sicher gab es Momente, in denen ich traurig darüber war, kein Pferd streicheln zu können oder gar reiten zu gehen, wie meine Freundinnen. Aber in meiner Erinnerung überwiegt das Glück, das Pferde mir selbst aus der Entfernung und in meinen Gedanken geschenkt haben.
Trotzdem war es für meine Mutter wohl schwer zu ertragen, das Pferdemädchen ohne Pferde zu sehen. Und so schleppte sie mich eines Tages, ich war wohl 12 oder 13 und meine Pferdebegeisterung machte keine Anstalten abzuklingen, zu einem Heilpraktiker. Ich muss dazu sagen, dass ich und auch meine Familie dem ganzen Bereich eher skeptisch gegenüberstanden. Wir waren keine Familie, die Globulis zuhause hatte oder auch nur auf altbewährte Hausmittel setzte. Bei uns gab es Hustensaft, wenn man erkältet war und keinen Zwiebelsaft. Ich sage das nur, um das Ausmaß der Verzweiflung meiner Mutter zu verdeutlichen. Dass sie mich zu „so einem“ geschleppt hat, spricht heute für mich Bände.
Ich saß also in diesem Behandlungszimmer. Wir hatten Pferdehaare mitgebracht, die in eine kleine Metalldose kamen, die an ein Gerät angeschlossen war. Auch ich war an das Gerät angeschlossen und trug Metallkontakte am Kopf. Meine Hände hielten abwechselnd kleine Metallkugeln oder lagen flach auf Metallplatten. Ich saß da und fand es einfach nur bescheuert. Nur meiner Mutter zuliebe bin ich nicht aufgestanden und gegangen. 50 Mark kostete eine Behandlung.
Das Ganze machten wir fünf Mal. Fünf Mal kam ich mir völlig bescheuert vor, fünf Mal blieb ich nur meiner Mutter zuliebe und fünf Mal rechnete ich mir aus wieviele Pferdeleckerlie ich von den 50 Mark hätte kaufen können.
Nach diesen fünf Behandlungen sollten wir ausprobieren was passiert, wenn ich in die Nähe von Pferden komme. Ich begleitete also meine beste Freundin am nächsten Tag in den Stall. Ich sehe mich noch vor dem Eingang stehen. So sehr ich Pferde auch liebte, wollte ich doch nicht mit rein, denn Atemnot ist ganz schön beängstigend. Doch ich ging mit rein. Ich wartete auf die Allergiesymptome. Und wartete vergeblich. Ok, meine Nase juckte ein bisschen und ich konnte die erste Zeit nicht unbedingt mein Gesicht im Pferdefell vergraben. Aber ich konnte dort sein. Ich konnte reiten. Ich konnte endlich ein Pferdemädchen sein.
Dieser Tag, an dem ich dort im Stall stand und feststellte, dass ich bleiben konnte, war einer dieser Tage, die sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Er wird immer einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen haben.
Es gibt so viele Gründe, die uns davon abhalten können, das Pferdemädchen zu sein, das wir im Herzen sind. Seien es finanzielle Gründe, seien es Entfernungen, eine Allergie oder tausend andere Hindernisse. Ein Pferdemädchen sein zu können, ist ein Geschenk. Das vergessen wir leider viel zu oft. Wenn es im Stall mal wieder Stress gibt, Dauerregen und Kälte dem Offenstaller das Leben erschweren oder das liebe Pony mal wieder die Futterkammer ausgeräumt hat, ist es manchmal schwer, sich an das Strahlen zu erinnern, das der Anblick eines Pferdes uns als Kind ins Gesicht gezaubert hat. Aber genau das sollten wir tun.
Verliert dieses Gefühl nicht. Das ist das Wichtigste.
Seid Pferdemädchen mit ganzem Herzen.
Erzählt mir von eurem Pferdemädchen-Leben! Hattet ihr das Glück schon als Kind all eure Zeit im Stall zu verbringen, oder gab es für euch auch erstmal Hindernisse, die ihr überwinden musstet?
4 comments
Schön von Dir zu lesen! Ich war auch schon immer ein Pferdemädchen, halt, ein Tiermädchen. Pferd, Hund, Katze, Grille- egal! Tiere waren immer mein Ziel. Irgendwann weigerte ich mich als Kind Verwandte zu besuchen wenn diese keine Tiere hatten 😀
Als ich sieben wurde zogen wir um, ich bekam ein Kaninchen uuuuund ich kam in die zweite Klasse. Tatsächlich ging ein kleiner Junge in die Klasse dessen Mutter einen Ponyhof hatte. Ich glaubte ihm das nicht, in meiner Vorstellung konnte niemand soo verdammt viel Glück haben und auf einem Ponyhof leben. Der Junge lud mich ein, ich landete auf einem Pony an der Longe und ZACK war es um mich geschehen. Meine Eltern bekamen mich seitdem nur mehr wenig zu Gesicht. Reitstunden- Pflegepferd- bei Reitstunden helfen- Reitstunden geben. Eltern kauften Pflegepferd weil der Hof verkauft wurde und ich mich schon 5 Jahre jeden Tag um das Pony gekümmert hatte. Pony wurde fast 35 🙂 Nachfolgepony ist nun seit 6 Jahren bei mir. Die Story ist nun 30 Jahre her und ich kann sagen- ich bin echt ein Pferdemädchen äh, ein Tiermädchen geblieben <3
Wie wunderbar! Cool, dass Du Dich geweigert hast Verwandte ohne Tiere zu besuchen. Man hat eben Standards… 😉
Toll, dass Deine Eltern das dann auch eingesehen und Dir das Pferdemädchen-Dasein ermöglicht haben. Ich war auch schon immer ein Tiermädchen. Auf Katzen hatte ich schon immer eine magische Anziehungskraft und ich wollte auch immer zu jedem Hund hin (gegen die war ich aber fast genauso allergisch wie gegen Pferde). Zum Glück haben sich auch die anderen Allergien mittlerweile zurückgezogen und ich kann mein Tiermädchen-Dasein endlich voll ausleben mit zwei Katzen, zwei Hunden und einem Pferd. <3
Ich wollte immer gerne ein Pferdemädchen/kind sein, aber meine Eltern erlaubten leider nur Klavierunterricht. In der 5. oder 6. Klasse schaffte ich es dann, mich mit einem Pferdemädchen anzufreunden. Sie nahm mich mit in den Stall, ich durfte Pferde streicheln, beim Putzen helfen und ihr bei Reitstunden zusehen. Ich träumte an der Bande der Reithalle davon, selber eins von diesen Kindern zu sein, die mit ihren Reithelmen und Gummistiefeln so glücklich aussahen. Leider erfüllte sich dieser Traum nicht, denn meine Eltern blieben hart – und die Freundin, die mich immer mitgenommen hatte, wurde 2 Jahre später schwer krank und musste das Reiten leider aufgeben.
Erst im Studium, mit meinem ersten Nebenjob konnte ich mir selbst endlich Reitstunden schenken – das ist nun 5 Jahre her. Seitdem versuche ich, Reitstunden und inzwischen meine Karriere zu vereinbaren und die Basis für ein eigenes Pferd zu schaffen. Alles nicht so ganz einfach, aber ich trage immer noch genug Pferdekind im Herzen, dass ich fest davon überzeugt bin, mir den Traum, wirklich mit Pferden zu leben, irgendwann zu erüllen.
Was für eine wunderschöne Geschichte! Ich habe meine erste bewusste Erinnerung an Pferde, da muss ich so 3, 4 Jahre alt gewesen sein. Seitdem war es um mich geschehen. Auf Sonntagsspaziergängen, bei Landausflügen, egal – ich musste in ihrer Nähe sein. Ganze Nachmittage habe ich auf einer Koppel am Stadtrand verbracht um mich bei Tönjes, einem Fjordferd, aufhalten zu können. Da war ich 9 und meine Eltern waren nicht begeistert davon, dass ihre kleine Tochter durch die halbe Stadt fuhr, nur um einem Pferd nahe zu sein…
Mit 11 war ich endlich groß genug, um in dem Reitstall in meinem Stadtteil Unterricht nehmen zu können. Ein Traum wurde endlich wahr! Ich war auch so ein typisches Pferdemädchen: zuhause nur Pferdebücher, Pferde konnte ich blind zeichnen und jeder Urlaub ohne Pferde war nur halb so schön. Bald hatte ich mein erstes Pflegepferd, Cäsar, einen kleinen Lippizaner. Zwei Jahre lang durfte ich mich um ihn kümmern. Er starb leider an den Folgen einer Kolik und ich habe noch nie soviel geweint, wie damals. Ich hatte dann noch 2 Pflegepferde. Ich wurde 16. Es war 1982 und man hielt Pferde ganztägig in Boxen, dann kamen sie mal für eine Stunde raus in die Halle. Offenställe, Weidegang etc. gab es selbst auf dem Land nicht. Mich frustrierte das alles schon lange, in meine Pferdebegeisterung mischte sich ein schlechtes Gewissen, ich sah plötzlich, wie unglücklich und gestresst unsere Schulpferde waren, begriff, dass die häufigen Koliken in unserem Stall auch durch nicht artgerechte Haltung hervor gerufen wurden.
32 Jahre vergingen seitdem. 32 Jahre ohne auch nur ein Pferd aus der Nähe zu sehen. Ich hatte nicht mehr dazu beitragen wollen, das so mit diesen wundervollen Tieren umgegangen wird und ich hatte damals die Nase voll von brüllenden Reitlehrern und Pferdebesitzern, die ihre Tiere mit der Gerte in der Box verdroschen. Die Sehnsucht hat mich all die Jahre begleitet und ich wusste, irgendwann werde ich wieder mit Pferden zu tun haben. So kam es dann auch. Ich war schon 48, als ich eine echte Pferdefrau kennenlernte, die ihre damals 5 Pferde so hielt, wie ich mir das immer gewünscht hatte: Auf einer riesigen Weide und im Offenstall. Nicht als Sportgerät benutzt, sondern als Mitgeschöpf und treuer Gefährte behandelt. Ihre Pferde waren freundlich, gelassen und nie ernsthaft krank. Mittlerweile kennen wir uns seit 4 Jahren, ich habe eine ihrer Stuten als Reitbeteiligung und meine Pferdemädchenwelt ist wieder in Ordnung. Vielleicht kaufe ich Vicky im nächsten Jahr, damit sie nur mir gehört. Nie wieder möchte ich so lange ohne Pferd sein. Wo habe ich das nur all die Jahre ausgehalten… Meine Mann und meine fast erwachsenen Söhne habe sich mittlerweile mit dem Pferdemädchen in ihrem Zuhause abgefunden und ich habe vor, auch mit 60, 70 und hoffentlich 80 Jahren immer noch eines zu sein…