Umdenken!
Manchmal begegnet man ja Gedanken, die alles verändern. Die plötzlich alles klar werden lassen und einen besser zurücklassen als sie einen gefunden haben. Im Umgang mit Pferden sind mir solche Gedanken in Form eines Buches begegnet, das mich mehr als alle anderen geprägt hat. Und das, obwohl es kein Lehrbuch im eigentlichen Sinne ist, sondern eher eine Sammlung von Erzählungen. Trotzdem habe ich durch dieses Buch vielleicht mehr gelernt als durch alle anderen Pferdebücher zusammen (obwohl da auch wirklich tolle Bücher dabei sind!). Aber um dieses Buch soll es (zumindest heute) gar nicht gehen, denn es verdient eine eigene, ganz ausführliche Rezension.
Für alle, die jetzt schon neugierig geworden sind und es noch nicht kennen: Hiermit lege ich euch Denn Pferde lügen nicht: Neue Wege zu einer vertrauten Mensch-Pferd-Beziehung von Mark Rashid wärmstens ans Herz. Ich habe fast jedes seiner Bücher gelesen, aber dieses hat mich besonders beschäftigt. Bis heute eigentlich.
In diesem Artikel soll es um ein Konzept gehen, das mich in Mark Rashids Buch besonders beeindruckt hat. Sein Konzept des sanften Anführers. Dieser Artikel ist dabei keine Schritt-für-Schritt Anleitung, denn wie wir ja wissen, ist die Ausgestaltung bei jedem individuell. Aber für mich war dieses Konzept ein wichtiger Denkanstoß. Und vielleicht ist es das ja auch für Dich.
Die Sehnsucht nach einem anderen Umgang
Vielleicht geht es Dir ja auch so? Ich habe mich mein Pferdeleben lang immer nach einem anderen Umgang gesehnt. Irgendwie war immer etwas falsch, auch wenn ich gar nicht so genau sagen konnte was das eigentlich war. Ich soll der Herdenführer sein? Ok, irgendwie macht das schon Sinn, wenn ich möchte, dass ein Herdentier mir folgt. Aber erreiche ich das wirklich, indem ich mein Pferd dominiere und bei jeder Gelegenheit meine Stärke demonstriere? Irgendwie fühlte sich die Dominanztheorie für mich immer an als ob dabei etwas fehlen würde. Als ob da etwas anderes, viel wichtigeres wäre, das wir dabei übersehen. Nun hatte ich aber nie die Gelegenheit eng mit großen Pferdeherden zusammenzuleben und diese über lange Zeit zu beobachten. Und trotzdem war da dieses Gefühl, dass diese Glaubensgrundsätze, die mir über Pferde eingetrichtert worden waren, nicht stimmen können. Würde ein Anführer, der ständig Stärke demonstriert in der Natur nicht viel zu viel Kraft verschwenden? Würde ihn das nicht von wichtigen Dingen abhalten? Wäre es der beste Weg für das Überleben, so einem Anführer zu folgen?
Das Konzept des sanften Anführers
Mark Rashid hatte diese Möglichkeit, große Herden über lange Zeiträume zu beobachten und zu unserem großen Glück hat er einige seiner Beobachtungen in diesem Buch zusammengefasst. Daraus ist sein Konzept des “sanften Anführers” entstanden. Rashid hatte mehrfach beobachtet, dass Pferde nicht dem dominanten Alpha folgten, sondern ihm im Gegenteil sogar eher aus dem Weg gingen. Stattdessen schlossen sie sich einem ganz anderen Typ Pferd an. Diese Pferde waren oft ruhig und besonnen, gingen Streitereien weitestgehend aus dem Weg und ruhten gewissermaßen in sich selbst. Es waren die Pferde, die bei der Fütterung abwarteten an welchem Heuhaufen am wenigsten los war und dann dorthin gingen, um in Ruhe zu fressen. Diesen Pferden folgen die anderen nicht, weil sie Angst vor ihnen hätten, oder sie für das stärkste Tier der Herde hielten. Sie folgen ihrem Beispiel. Diese sanften Anführer bewerben sich nicht um den Posten und sie würden wohl auch nicht darum kämpfen. Sie werden vielmehr von ihren Anhängern gewählt. Ganz demonkratisch also.
Wenn man ein bisschen über Herden und ihre Strukturen recherchiert, dann wird schnell klar, dass dieses rigide Alpha-System in der Verhaltensbiologie schon lange veraltet ist. Oft werden Herden von Leitstuten angeführt, die zwar äußerst selbstsicher, aber nicht unbedingt dominant im aggressiven Sinne sein müssen. Und auch in unseren kleinen Herden habe ich den Typus des sanften Anführers gefunden. In meinem alten Stall führte Pete, ein kleiner Fuchs, unsere Herde an. Er war weder der Stärkste, noch der Dominanteste. Aber er war der beste Anführer. Er sorgte nicht für Stress in seiner Herde, sondern legte großen Wert auf Harmonie. Wer die störte, der wurde mal weggescheucht, aber ansonsten war er (und ist er hoffentlich noch) ein Ruhepol. Wenn neue Pferde in die Herde kamen und die Gifterei zu heftig wurde, dann Schritt er ein und nahm den Neuling in Schutz. Er musste nicht seine Anführerschaft beweisen und ich habe nie gesehen, dass er seinen Futterplatz behauptete, obwohl ein anderer frei war. Pete verkörpert für mich dieses Prinzip des sanften Anführers. Natürlich bedeutet das nicht, dass es die typischen Alphas nicht geben würde – Soudis Chef ist weit weniger sanft und harmoniebedürftig. Ihm gehen die meisten lieber aus dem Weg als sich ihm anzuschließen. Nur in potenziellen Gefahrensituationen suchen sie seine Nähe. Aber bei “Gefahr” stellt sich auch Pete vor seine Herde. Die meisten von uns würden ihm wohl lieber folgen, oder?
Wir haben also die Wahl
Für mich bedeutet das, dass ich zwei Möglichkeiten habe. Wahrscheinlich sind es tatsächlich noch viel mehr. Aber zwei sehr unterschiedliche habe ich sehr genau vor Augen. Ich kann ein Alpha sein, wie es Generationen von Reitlehrern ihren Schülern eingetrichtert haben (und noch immer tun). Oder ich kann ein sanfter Anführer sein. Beides gibt es in der Herde und beide Rollen kann ich meines Erachtens auch als Mensch für mein Pferd einnehmen. (Ich weiß, dass es zu der Frage, ob ein Mensch überhaupt eine solche Rolle gegenüber seinem Pferd einnehmen kann, andere Positionen gibt. Ich glaube das geht, aber das auszuführen würde hier jetzt zu weit führen. Das wird dann mal ein anderer Artikel.) Es kann Kombinationen von Menschen und Pferden geben, für die die Alpha-Rolle besser funktioniert und das muss überhaupt nicht schlecht sein.
Aber es ist nicht der einzige Weg und für mich ist das eine riesen Erleichterung. Ich bin nicht der Alpha-Typ. Das war ich noch nie und wann immer das gefordert wurde, bin ich schnell an meine Grenzen gestoßen. Ja, manchmal habe ich sogar gedacht, ich wäre für ein Leben mit Pferden einfach nicht geschaffen, weil ich diese Anforderungen meiner Trainer nicht erfüllen konnte (oder wollte). Aber heute bin ich mir sicher, dass ich mich nicht dahin verändern muss. Insgeheim wusste ich nämlich auch schon immer, dass ich das nicht kann. Ich bin auch in Menschengruppen ein leiser und besonnener Mensch. Ich stehe meistens nicht im Vordergrund, aber die Menschen vertrauen mir und wenn es um die Lösung von Problemen geht, dann habe ich auch immer schnell meine “Anhängerschaft”. Mit Menschen habe ich schon vor langer Zeit begriffen, dass meine ruhige Art keine Schwäche ist, sondern im Gegenteil eine Stärke sein kann. Bei Pferden hat man mir das fast ausgeredet. Deshalb bin ich sehr froh, dass Mark Rashid dieses Buch geschrieben hat. Es hat mir gezeigt, dass es diesen anderen Weg doch gibt.
Was bedeutet es, ein sanfter Anführer zu sein?
Natürlich bedeutet sanfte Anführerschaft nicht, dass das Pferd das Sagen hätte oder kein gutes Benehmen erwartet würde. Es gibt Situationen, da muss man klare Grenzen ziehen, aber das bedeutet nicht, dass man sein Pferd immer dominieren müsste. Mark Rashid sagt, dass es ein Balanceakt ist, rauszufinden wieviele Führung nötig ist und wieviel Freiheit wir unseren Pferden geben können. Das stimmt.
Für Mark Rashid bedeutet ein sanfter Anführer zu sein vor allem, seinem Pferd ein Mitspracherecht einzuräumen. Er hört seinen Pferden zu, zieht ihren Standpunkt ernsthaft in Betracht und macht dann von da aus weiter. Wir müssen nicht jede unserer Ideen unbedingt durchsetzen. Und in vielen Situationen müssen unsere Pferde auch nicht sofort “gehorchen”.
Gleichzeitig hat sanfte Anführerschaft auch viel mit Vertrauen zu tun. Ich versuche immer zuerst davon auszugehen, dass das schon klappen wird. Wenn Du Dich mal selbst beobachtest, dann wirst Du wahrscheinlich feststellen, dass das nicht unsere natürliche Herangehensweise ist. Die meisten Menschen sind erstmal skeptisch und gehen unterbewusst davon aus, dass etwas nicht klappen wird. So ging es mir zumindest und das ist auch häufig im Stall zu beobachten. Das müssen wir aber ablegen, denn es steht uns und unserem Pferd im Wege. Und unserer Anführerschaft sowieso. Wenn wir es schaffen, davon auszugehen, dass schon alles gutgehen wird, dann wirken wir automatisch selbstsicher und überzeugend. Eine Self-fulfilling Prophecy sozusagen.
Was das für Soudi und mich bedeutet
Mal ein kleines Beispiel von Soudi und mir: Wenn ich Soudi putzen möchte, dann hole ich ihn normalerweise ohne alles von der Weide in einen kleinen abgetrennten Bereich. Oft habe ich das Halfter zwar mit, aber neulich hatte ich mal alles im Auto gelassen. Soudi kam bereitwillig bis zum Zaun mit, aber da es vorher tagelang geregnet hatte, wartete dort eine große Pfütze. Pfützen und Matsch findet Soudi richtig doof, aber er musste da durch, um in den abgetrennten Putzbereich zu kommen. Ich ging also rein und Soudi blieb davor stehen und sah mich mit großen Augen an. Tja. Ich hätte in der Situation jetzt darauf beharren können, dass er sofort mitkommt. Aber warum der Stress? Wäre er abgedreht und zurück zu seinen Kumpels gegangen, dann wäre davon nicht die Welt untergegangen. Aber davon ging ich auch gar nicht aus. Ich ging davon aus, dass er ganz allein die “richtige” Entscheidung treffen und zu mir kommen würde. Er musste sich nur erst überwinden und ich ließ ihm dafür seine Zeit. Es dauerte gut fünf Minuten, bis er auf Hufspitzen durch die schlimme Pfütze hüpfte, aber er kam zu mir und ich feierte ihn begeistert für seinen Heldenmut.
Soudis Bedenken habe ich in der Situation nicht einfach übergangen, was in meinen Augen ein wichtiger Faktor für eine Partnerschaft ist. Ich habe sie wahrgenommen, sie in Betracht gezogen und ihm gesagt, dass ich ganz sicher weiß, dass die Pfütze ihn nicht aufessen wird und ich möchte, dass er zu mir kommt. Trotzdem habe ich ein Zugeständnis gemacht: Er durfte sich dafür so viel Zeit nehmen wie er brauchte. Und als er es dann geschafft hatte, da hat sich seine Überwindung für ihn gelohnt, denn er wurde gefeiert, es gab Leckerli und eine große Kraulsession. Alles in allem war es für ihn also eine gute Entscheidung mir zu folgen und ich habe es ihm so leicht gemacht wie möglich. Das ist nur eine ganz kleine Situation, aber ich glaube, dass es oft diese kleinen Situationen sind, in denen wir beweisen, dass wir würdige Anführer sind und man uns vertrauen kann. Dafür kann ich in anderen Situationen, wenn es drauf ankommt (oder wenn es mir darauf ankommt), bedingungsloses Folgen verlangen, weil ich mir zuvor das Vertrauen verdient habe. Soudi wird dann zu dem Schluss kommen: Wenn es ihr so ernst ist, dann wird das schon wichtig sein. Ich glaube, dass wir unseren Pferden zu wenig zutrauen, wenn wir ihnen die Fähigkeit das zu unterscheiden, nicht zutrauen. Und falls jetzt jemand denkt, dass Soudi mich jetzt immer warten lässt: Nein, er ist nach wie vor ein Musterschüler und stets bemüht meinen Wünschen sofort nachzukommen. Es sei denn es spricht etwas dagegen, dann denken wir gemeinsam drüber nach und suchen uns den für uns beide besten Weg. 😉
Entscheidend ist, was der richtige, individuelle Weg für euch beide ist!
Für Soudi und mich ist das die richtige Art miteinander umzugehen. Zum einen, weil ich kein Alpha bin und auch nie sein werde. Und zum anderen, weil Soudi kein Pferd ist, dem man sein Mitspracherecht absprechen kann. Soudi hat einen eigenen Kopf und den benutzt er auch. Wenn ich mich einfach über ihn hinwegsetzen würde, dann hätte ich schnell ein bockiges, unmotiviertes Pferd und wahrscheinlich würde er sich irgendwann sogar wehren. Soudi ist kein Pferd, das alles mit sich machen lässt. Und genau so eines wollte ich. Denn wenn man so ein Pferd richtig behandelt und das richtige Maß zwischen Freiheit und Grenzen findet, dann hat man einen klugen, hochmotivierten Partner für’s Leben, der einen auch immer wieder fordert. Dass Soudi mir jedes Mal auf der Weide entgegenläuft, alles was ich vorschlage begeistert mitmacht und dabei gleichzeitig gut erzogen ist und meinen persönlichen Bereich beachtet, zeigt mir, dass ich mit meiner Interpretation von Mark Rashids sanftem Anführer auf einem guten Weg bin. Für ein sehr unsicheres Pferd kann es angenehmer sein einen starken Anführer zu haben, der sehr viele klare Grenzen setzt und weniger Freiheiten lässt. Was für euch also der beste Weg ist, das weiß niemand besser als Du. Und da solltest Du Dich auch nicht beirren lassen! Aber Soudi und ich sind uns einig: So viel Freiheit wie möglich, so wenige Grenzen wie nötig – und bisher klappt das verdammt gut. Natürlich sind diese Grenzen dann aber auch wirklich ernst gemeint und unverrückbar.
Was ist Deine Philosophie mit Deinem Pferd? Lasst ihr euch viele Freiheiten, oder braucht Dein Pferd klare Grenzen?
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14 comments
Huhu Sophie,
ganz toller Artikel!
„Denn Pferde lügen nicht…“ ist auch eines meiner absoluten Lieblings-Pferdebücher! Hab es vor vielen Jahren gelesen und es war wie eine Offenbarung. Damals habe ich mit einer sehr dominanten Herdenchefin gearbeitet und wir hatten ganz schön unsere Probleme. Mark Rashids Grundsatz Pferde selbst denken und Entscheidungen treffen lassen und seine (für mich) zweite wichtige Aussage, dass man auch schon mit einem kleinen Schritt in die richtige Richtung zufrieden sein kann und soll, haben mich mit der Stute sehr viel weitergebracht.
Ich finde es wirklich toll wie du mit Soudi so arbeitest, dass es eurem jeweiligen Charakter entspricht. Es bringt ja nichts, sich zu verbiegen und verstellen, Pferde können nicht nur nicht lügen, sie erkennen auch wenn wir lügen – und wie sollen sie denn jemals jemandem vertrauen der lügt?
Hach, jetzt hast du mich total animiert das Buch gleich nochmal zu lesen 😉
LG Christina
Hallo Christina,
vielen Dank für die lieben Worte! 🙂 Ich lese das Buch auch gerade zum zweiten Mal und erstaunlicherweise ist es genau wie beim ersten Mal: Ich werde ganz aufgeregt beim lesen, weil da so unheimlich viele wichtige Dinge drinstehen und ich auch jetzt immer wieder Aha-Effekte habe. Ich finde diesen individuellen Angang auch unheimlich wichtig. Und zwar in beide Richtungen, wie Du sagst. Soudi ist dabei der allerbeste Lehrmeister, den man sich wünschen kann, denn er durchschaut mich sofort und zeigt mir auch deutlich was er davon hält was ich so mache. Wenn er das gut findet, dann zeigt er es mir begeistert und ganz offen. Wenn er was schlecht findet, dann kriege ich das aber auch deutlich auf’s Brot geschmiert. Ich bin wirklich froh, dass wir einander gefunden habe, denn ohne ihn hätte ich im vergangenen Jahr bei weitem nicht so viel gelernt.
Ganz liebe Grüße,
Sophie
Oh mein Gott…ich kann leider keinen sinnvollen Kommentar abgeben, weil es in meinem Kopf grad ungefähr so macht: „Oh, Ha. Blingblingbling, Jackpot , gute Idee,….piepieipei…Denkdenkdenk“. Du verstehst?
Nein?
Also ok. Ich finde diesen Ansatz großartig. Ich liebe Anführer, die ruhig und besonnen sind. Ich versuche selbst immer mehr so zu werden und mein Temperament ein wenig zu zügeln. Ebenso versuche ich es auch beim Pony. Denn ich kann nicht auf der einen Seite clickern und auf der anderen Seite dann die Dominanztheorie ausleben, das funktioniert irgendwie nicht. Aber dass es dazu ein Buch gibt und einen so tollen Gedanken-Artikel von dir, das öffnet mir grad das Herz!
Das Buch muss baldigst von mir gelesen werden.
Vielen herzlichen Dank! (Worte langen nicht mein Gefühl grad zu beschreiben 😀 Ich fühle mich offenbart 😀 )
Wie großartig, ich weiß ganz, ganz genau wie Du Dich fühlst, denn es ging mir EXAKT genauso, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe! 🙂 Wie toll, dass ich das anscheinend rüberbringen konnte! Das freut mich sehr! 🙂 <3
Liebe Sophie,
ich kenne das Buch und liebe es. Es ist für mich unheimlich wertvoll. Man findet keine Anleitung wie man nun mit seinem Pferd umgehen soll, sondern so viele Ideen und Anregungen.
Was du über Soudi und dich schreibst klingt für mich toll.
Im Prinzip ist es mit Parcival und mir ähnlich. Parcival ist nicht der Typ, der sich unterordnet. Auch in der Herde nicht. Er geht recht stoisch einfach seinen Weg. Ohne viel Aufhebens, aber mit viel Selbstbewusstsein. Er lässt sich z.B. so gut wie nicht von der Heuraufe vertreiben. Wenn er angegiftet wird, bleibt er einfach stehen und frisst weiter. Er schaut nicht mal auf, sondern macht einfach sein Ding weiter.
Mit mir geht er ähnlich um, wenn ich in seltenen Momenten nicht zuhören, sondern meine mein eigenes Ding machen zu müssen. Er reagiert dann einfach nicht.
Bei uns gibt es ganz klar auch Regeln und Grenzen. Ich bin z.B. super streng bei der Leckerchengabe. Es gibt kein Leckerchen einfach so und er darf sich aus dem Futterbeutel auch nicht einfach bedienen. Das weiß er aber auch und ich kann mit einem offenen Futterbeutel auf der Höhe seiner Nase stehen und er macht in der Regel noch nicht mal den Versuch ans Futter zu kommen. Das ist für mich aber gar kein Dominanzthema, sondern einfach Höflickeit. Ich bin ihm gegenüber höflich und erwarte, dass er mir gegenüber höflich ist.
Ansonsten hat Parcival volles Mitspracherecht. Er darf eigene Ideen einbringen, darf auch mal was blöd finden und nicht machen oder komplett entscheiden, dass er heute nicht mitkommen mag. Im Prinzip so ähnlich wie bei Soudi und dir.
Parcival und ich sind Partner und zwar gleichbereichtigt und das meine ich Ernst. Seine Meinung ist genauso wichtig wie meine. Dadurch bekomme ich so viel von ihm geschenkt. Wenn ich ihm zuhöre, dann ist er auch bereit mir zuzuhören. Bei uns entscheidet immer derjenige, der für diese Entscheidung gerade der „kompetentere“ ist, bzw. wir entscheiden gemeinsam. Geht es z.B. darum, ob er sich heute konzentrieren kann und wir das Stillstehen üben können, ist Parcival sicher kompetenter das zu entscheiden. Denn ich weiß das mit Sicherheit nicht so gut wie er. Also höre ich hier auf ihn und nein es ist nicht so, dass er diese Übung nun immer nicht machen will. Sie ist schwer für ihn und liegt ihm auch nicht wirklich, aber er bemüht sich ganz oft es mitzumachen und strengt sich dabei auch sehr an. Nur an manchen Tagen sagt er einfach „Nein“ zu dieser Übung. Dann machen wir eher was mit Bewegung, was ihm dann leichter fällt. Geht es darum z.B. abzuschätzen, ob wir beim Spaziergang zurück gehen sollten, entscheide ich das, denn ich weiß, wie lange der Rückweg ist, das kann Parcival nicht richtig einschätzen. Hier vertraut er mir dann auch und geht mit zurück, wenn ich ihn darum bitte. Sind wir beim Toben in der Halle macht mal er den Vorschlag jetzt zu traben und ich dann den ein Stück rückwärts zu gehen. Er fragt an, ob er aus dem rückwärts ohne anhalten gleich ins vorwärts soll und ich bitte ihn darum anzuhalten aus dem Trab. Das ist eine gemeinsame Kommunikation wo wir beide uns einbringen und das ist mir natürlich am liebsten.
Ich würde jetzt nicht behaupten, dass mein Umgang mit ihm keine Folgen hat. Die hat es, denn er ist nicht bereit mitzumachen, wenn er das Gefühl hat, dass es keine Rolle spielt, was er von der ganzen Sache hält. Bereue ich es deshalb? Nein. Denn ich freue mich daran, dass mein Pony völlig freiwillig und ohne Zwang und Druck mitmacht, ans Koppelgatter galoppiert kommt, wenn er mich sieht und den Kopf ins Halfter streckt, weil er es kaum abwarten kann, dass wir was gemeinsam unternehmen. Und genau das ist der Punkt. Wir unternehmen gemeinsam etwas.
Liebe Grüße
Miriam
Ach was ich noch vergessen hab. Kennst du das Buch „Die Pferde aus Juhola“? Das kann ich dir auch nur sehr ans Herz legen. Es ist ein Buch mit Erzählungen über eine Pferdeherde. Man findet keine Anleitungen oder sonst was darin, aber es hat mir wahnsinnig viel gegeben und mir eine Idee davon vermittelt wo ich gern hinmöchte.
Liebe Grüße
Miriam
Das klingt spannend! Das sagt mir noch gar nichts. Vielen Dank für den Tipp, das werde ich mir auf jeden Fall besorgen. 🙂
Hach Miriam,
ich finde ihr seid so ein tolles Team. Die Erkenntnis, dass ein Pferd das nicht automatisch immer ausnutzt wenn man ihm „was durchgehen“ lässt, ist vielleicht die wichtigste, die ich in meinem Pferdemädchenleben gemacht habe. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Pferde viel mehr für einen tun, wenn man freundlich und, wie Du sagst, höflich zu ihnen ist. Und das mit viel weniger Aufwand. Ich habe mit verschiedenen Pferdetypen gearbeitet und es traf bei allen so zu. Keines davon hat jemals irgendwas komplett verweigert, wenn ich einmal gesagt habe „ok, dann heute nicht“. Eher im Gegenteil: Meistens waren sie dann an einem anderen, besseren Tag umso motivierter. Und eben auch bereit das für mich zu tun, was ihnen schwer fällt. So bin ich auch fast immer durch’s Leben gekommen, ohne mich großartig aktiv durchzusetzen. Natürlich lasse ich nicht alles durchgehen, wenn Soudi aufdringlich wird, dann gibt es auch mal ne klare Ansage, aber das reicht dann auch. Meine Reitbeteiligungsstute ist wieder eine neue Herausforderung für mich. Sie ist das erste Pferd, das zwischenzeitlich mir gegenüber selbst die Führung übernommen hat. Zum Glück hat meine Trainerin mir da sehr geholfen. Jetzt wo die Verhältnisse wieder geklärt sind, können wir aber auch absolut partnerschaftlich zusammenarbeiten, obwohl sie sehr dominant und selbstsicher ist. Sie kommt mir auf dem Paddock entgegengelaufen und geht frei mit mir zum Tor. Wenn ich sie dann mal nicht mitnehme und was mit ihr mache, dann ist sie ganz empört. 🙂 Es geht also auch wirklich mit ganz unterschiedlichen Pferden, man muss nur für jedes die richtige Art und Weise und das richtige Maß finden.
Das was Du über das Entscheidungen treffen sagst, das finde ich super. „Wer jeweils der kompetentere ist“, das bringt es genau auf den Punkt. Erinnerst Du Dich an die Geschichte von Mark Rashid als er mit seinem Pferd ein weggelaufenes Pferd einfangen will und dann nicht auf sein Pferd hört, obwohl es die viel besseren Sinne und Instinkte hat? Das erinnert mich auch ein bisschen daran. 🙂 Ein bisschen ist es auch so wie im Menschenleben: Ein wirklich guter Chef beharrt auch nicht immer auf seiner Meinung, sondern kann auch zugeben, dass jemand anders vielleicht richtig liegt.
Ich kann auch total verstehen was Du mit den Konsequenzen meinst. Ich glaube Soudi und Parcival ähneln sich vom Typ her in vieler Hinsicht. Soudi hat genauso eine eigene Meinung, die er auch äußert (und auch äußern darf). Ich glaube, ich hätte wenig Spaß mit ihm, wenn ich die ignorieren würde. Aber ich bin dankbar, dass er sich einbringt, das macht mir unheimlich viel Freude. Und im Gegenzug hat er auch offensichtlich viel Spaß an unserem Zusammensein. Er löst sich sogar aus seiner Herde und kommt mir entgegen, wenn sie gerade wilde Jungsspiele spielen, wie ich neulich erfahren durfte. Und er blieb die ganze Zeit bei mir und wollte am liebsten mitkommen, als ich dann wieder die Koppel verließ. Wenn das kein riesen Kompliment ist, dann weiß ich auch nicht. 🙂 <3
Liebe Grüße,
Sophie
Liebe Sophie,
sehr gut geschrieben. Ich bin eigentlich sogar der Meinung dass eigentlich jeder besser für diese Art des Anführers geeignet ist als für den Alpha, bzw. eher dass es für jede Pferd/Mensch Beziehung die bessere Variante wäre.
Ich finde es immer wieder faszinierend wenn ich zurückdenke wie Daphne und auch unser Verhältnis zueinander sich verändert hat seit ich ihr einfach zuhöre. Und du schreibst es genau richtig, man sollte der Persönlichkeit Pferd die Zeit lassen die es braucht um Entscheidungen zu treffen. Ich versuche im Umgang mit Daphne eine „kulante Konsequenz“ walten zu lassen. Seit unserem Stallwechsel sind wir auch viel alleine im Wald unterwegs oder sie geht in Gruppen auch gerne vorweg. Und das obwohl sie bei Tony´s ja nicht mal mit mir allein im Sattel vom Hof ging. Ich habe ihr einfach einen riesen Vertrauensvorschuss gegeben und sie hat ihn dankend angenommen. Wenn sie irgendwo nicht weitergehen möchte dann haben wir den Deal dass sie es sich solange anschauen darf wie sie es für nötig hält, ich korrigiere lediglich wenn sie umdrehen will. Und wenn wir eben 15min vor einer Holzbrücke stehen dann ist das so. Wichtig ist für sie dass sie von mir ermutigt wird und ich entspannt weiter atme und sie in die Entscheidung mit einbeziehe. Und so handhabe ich es mit allem was uns bzw. sie betrifft. Sie wird in jede Entscheidung so gut es geht mit einbezogen und darf „ihre Meinung äußern“. Durch diese Art des Umgangs ist aus meinem doch eher introvertierten zum dicht machen neigenden Pferd, meine ausgeschlossene Mausi geworden die mir ihrem Blick direkt in mein Herz und meine Seele immer wieder sagt dass ich auf genau dem richtigen Weg bin. Das klingt vielleicht etwas kitschig aber wir haben eben auch andere Zeiten miteinander erlebt die weniger innig und schön waren und ich bin froh dass sie mich auf diesen Weg gebracht hat und ich jeden Tag mehr mit und von ihr lernen kann.
Zu Pete kann ich dir auch nur Recht geben, er war der beste Herdenchef den ich bisher kennengelernt habe und ich bin sehr froh dass er nun wieder mit Daphne zusammen in einer Herde steht. Leider hat er seinen Chefposten dort nicht behalten sondern ihn gegen einen sog. „Alpha“ abgegeben aber er hat auch in der neuen Herde eine sehr wichtige Funktion als „Zweitchef“ die er auch hervorragend erfüllt. Zudem ist er ein wenig entspannter mit dieser Situation und kann sich etwas mehr mit spielen als mit aufpassen befassen was er auch mit Hingabe tut. Sehr zum Leidwesen seiner Besitzerin die schon mehrfach neue Decken kaufen musste… 🙂
Liebe Denise,
wie schön zu hören, dass es Pete und euch so gut geht. Schade, dass er seinen Chefposten nicht behalten hat, er hat das so toll gemacht! Aber schön, wenn er dafür ein etwas fröhlicheres Pferdeleben hat bei euch. 🙂
Was Du von Daphne und eurer Entwicklung erzählst, das klingt wirklich wunderschön. Unglaublich eigentlich was so Kleinigkeiten manchmal verändern können. Toll auch, dass ihr jetzt so viel zusammen draußen sein könnt. 🙂 Und dass Du ihr die Zeit gibst, die sie braucht um so ein Hindernis zu bewältigen finde ich eh toll. Ich weiß eigentlich auch gar nicht, warum alle es immer so eilig haben. Was soll’s, wenn sowas mal länger dauert? Wir machen das doch in unserer Freizeit und bevor ich mich darüber ärgere, dass mein Pferd nicht über die Brücke will, da warte ich doch lieber ganz entspannt ab. 😉 In der Situation, die ich oben beschrieben habe, mit der Pfütze, da war neben uns sogar eine andere Einstellerin, die das beobachtet hat. Obwohl sie damit ja gar nichts zu tun hatte, hat sie es kaum ausgehalten mir beim Abwarten zuzusehen. Sie hat mehrfach gefragt, ob sie mir helfen soll, ob sie von hinten mal scheuchen soll etc.. Ich habe jedes Mal dankend abgelehnt und versucht mich davon nicht nervös machen zu lassen. Das fand ich aber faszinierend, weil ich gar nicht verstehen konnte woher so viel Ungeduld eigentlich kommt. Aber vielleicht war sie auch einfach nicht überzeugt davon, dass er zu mir kommen würde und nicht einfach abdreht… So oder so bin ich froh, dass Soudi und ich da ein wenig entspannter sind. 🙂 So schön, dass ihr eure Zeit auch so genießen könnt! 🙂 Und dann noch mit der schönen Natur drumrum!
Ganz liebe Grüße auch an Daphne und Pete!
Sophie
Bei uns läuft es schon lange so ab und es funktioniert so toll. Die Pferde betrachten mich als Anführer und sind trotzdem gern in meiner Nähe.
LG Susanne
Super, so wünscht man sich das doch! 🙂 Toll, dass ihr euren Weg schon gefunden habt.
Dieser Pete erinnert mich ein wenig an meinen Friedrich. Friedrich ist zwar erst 2, aber er ist ein ziemlich tiefenentspanntes Pferd. Einmal, da kam bei uns auch ein neues shetty dazu. Dieser wurde von einem größeren pony „angegriffen“. Friedrich ist dann tatsächlich dazwischen gegangen und hat das kleine Pony geschützt. Aber es war so gewaltlos, einfach nur spannend anzugucken. Er steht jetzt in einer anderen herde, bei einer ziemlich dominanten und „gewalttätigen“ stute. Aber er lässt sich von ihr auch nicht schikanieren oder sonstiges. Er meidet es zwar, mit ihr zu essen, aber wenn er das gerade möchte, tut er es einfach. Mein kleiner Pö ist so unglaublich, seine Art fasziniert mich immer wieder! Dein wundervoll geschriebener Artikel hat mir echt sie Augen geöffnet, es war einfach so ein:“das ist wie für uns gemacht!“-effekt. Friedrich ist eben auch ein Pferd, bei dem du mit Gewalt nicht viel weiter kommst. Ich erinnere mich noch an das erste Mal aufhalftern. Mein erstes Fohlen, ich war/bin noch relativ jung mit meinen erfahrungslosen 14/15 jahren damals. Meine Mutter war da erfahrender, aber wie sie ihm einfach das halfter „mit aller gewalt“(überspitzt ausgedrückt) übergezogen, hat mir fast ein wenig das herz gebrochen. Die nächsten Tage habe ich es selbst versucht/geübt: Mit Ruhe und Gedult und siehe da, kein Wehren von Ponys seite aus. Ich werde das definitiv im weiteren verlauf seiner ausbildung beachten, was ich mir hier ein wenig angelesen habe und mir das Buch ebenfalls bestellen!
Ich danke dir, du hast das sehr gut geschrieben!
Hallo Anki,
Friedrich klingt so als wäre er wirklich ein bisschen wie Pete. 🙂 Glückwunsch, ich glaube jeder mit so einem Pferd hat ganz großes Glück. Eigentlich hat natürlich jeder mit einem Pferd ganz großes Glück, aber dieser Pferdetyp ist schon irgendwie was besonderes, weil man sich so viel abschauen kann. 🙂
Ich glaube es gibt Pferde, bei denen kommst Du mit Gewalt sehr weit, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Und auf diese Pferde wirst Du Dich nie verlassen können, denn es wird immer irgendwas geben vor dem sie mehr Angst haben.
Den Dominanzansatz würde ich nun nicht mit Gewalt gleichsetzen und ich denke auch, dass es Pferde gibt, denen das vielleicht ein Stück weit auch Sicherheit geben kann. Aber ich bin überzeugt, dass man ihnen diese Sicherheit auch anders geben kann. Und dann gibt es eben auch diese anderen Pferde, Pferde wie Friedrich und Soudi, bei denen wir weder mit Gewalt noch mit Dominanz weiterkommen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle Pferde mit denen ich gearbeitet habe – und das waren sehr unterschiedliche Pferdetypen – bereit waren mehr für mich zu tun, wenn ich so war wie ich eben bin. Zwar schon bestimmt, aber dabei eben auch immer freundlich, es sei denn es geht wirklich gar nicht anders.
Deine Mutter meinte es sicher nicht böse, wahrscheinlich hat sie es einfach genau so gelernt. Aber ich finde es ganz toll, dass Du nach einem neuen Weg gesucht hast, obwohl es Dir so vorgelebt wurde! Ganz große klasse! 🙂 Es freut mich sehr, wenn Du Dich in meinem Text wiedergefunden hast. Und wenn Du die Bücher von Mark Rashid noch nicht kennst, dann solltest Du sie wirklich unbedingt lesen. Ich glaube sie sind für Dich! 🙂
Ganz liebe Grüße,
Sophie