Wenn ich Dich bitten würde die Hilfen aufzuzählen, die wir beim Reiten oder auch bei der Arbeit vom Boden aus verwenden, dann würdest Du eine wahrscheinlich nicht nennen: Deinen inneren Fokus. Und dabei ist das die wichtigste, die Du hast!
Dir schwirren tausend Dinge durch den Kopf
Du kennst das vielleicht: Es war ein stressiger Tag, Deine Kollegen haben Dich wahnsinnig gemacht, an die Kunden willst Du gar nicht erst denken. Auf der Fahrt zum Stall hast Du nur rote Ampeln erwischt, die anderen sind wieder gefahren als steckten sie mitten in den Dreharbeiten zu Speed 5 und eigentlich möchtest Du Dich nur in Deinem Bett verkriechen und niemanden mehr sehen. Am Stall empfängt Dich die Oberzicke mit einer spitzen Bemerkung und Du würdest ihr am liebsten das Halfter um die Ohren hauen (was Du natürlich nicht tust). Du atmest auf als Du endlich allein auf der Weide stehst, um Deinen Schatz zu holen. Allerdings musst Du auch um neun zuhause sein, weil Du die Wäsche noch aufhängen, aufräumen und ein paar Überweisungen machen musst. Tante Käthe musst Du auch unbedingt anrufen, am besten morgen, dann kommt sie ja aus dem Krankenhaus wieder. Und wann sollst Du es morgen eigentlich schaffen einkaufen zu gehen? Als Du Dein Pferd aufhalfterst, reißt es – ganz untypisch – den Kopf hoch. Hast Du die wichtige E-Mail an Deinen Chef eigentlich losgeschickt? Ja, doch. Oder? Du willst losgehen, aber Dein Pferd rührt sich nicht vom Fleck und Du läufst unsanft in den Führstrick. Du drehst Dich um und siehst Dein Pferd zum ersten Mal so richtig an. Es sieht Dich mit diesem skeptisch vorwurfsvollen Blick an und scheint nicht die Intention zu haben Dir irgendwohin zu folgen. Du ziehst ein bisschen am Strick, holst vielleicht die Gerte zur Unterstützung. Schließlich schafft ihr es irgendwie von der Weide. Dein Pferd tänzelt beim Putzen, während Du in Gedanken das Meeting vom Vormittag Revue passieren lässt. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass keine Lektion vernünftig klappt. Schließlich gibst Du entnervt auf und Dein Pferd ist sichtlich erleichtert, als es wieder auf die Weide darf.
Wer nicht in der Gegenwart ist, ist nicht vertrauenswürdig
Was ist passiert? Schon als Du den ersten Fuß auf die Weide gesetzt hast, hat Dein Pferd bemerkt, dass man Dir heute nicht trauen kann. Nicht dass es einen Angriff von Dir erwarten würde. Aber Dein kluges Pferdchen möchte sein Wohl heute auch nicht in Deine Hände legen. Denn Du bist nicht bei der Sache und würdest eine Gefahr wahrscheinlich nicht einmal erkennen, wenn sie mit einem Schwert vor Dir stünde. Du bist mit Deinen Gedanken ganz woanders und deshalb kann Dir Dein Pferd hier, in der Gegenwart, nicht trauen. Außerdem haben wir eine für Pferde mehr als unheimliche Körperspannung, wenn wir unter Strom stehen. All die negative Energie sagt dem Pferd: Bleib weg, halte Sicherheitsabstand! Ich habe das mit Soudi besonders am Anfang oft erlebt. Wenn ich in so einem Zustand auf die Weide kam, dann wollte er nichts mit mir zu tun haben. Er ist mir nicht entgegengekommen und ist sogar weggeganen, wenn ich zu ihm hin bin. Zum Glück habe ich sehr schnell kapiert was er mir sagen wollte: Komm erstmal runter!
Gib Deine Sorgen am Koppeltor ab!
Inzwischen gelingt es mir fast immer alle meine Sorgen am Koppeltor zurückzulassen. Wenn ich auf der Weide stehe, dann bin ich dort – und nur dort. Soudi dankt es mir, indem er mir motiviert, zutraulich und offen begegnet. Er kommt auf mich zugetrabt, begrüßt mich überschwänglich und weicht mir nicht von der Seite. Er folgt mir auch ohne Strick und Halfter auf unseren Putzplatz und ist mit seiner Aufmerksamkeit ganz bei mir. Aber sobald meine Gedanken abschweifen, verlässt mich auch seine Aufmerksamkeit. Im allgemeinen Umgang ist also der Einfluss Deines inneren Fokus‘ ziemlich deutlich. Aber wie sieht das bei der Arbeit aus?
Der innere Fokus ist Deine wichtigste Hilfe!
Eigentlich egal ob bei der Bodenarbeit oder beim Reiten: Dein innerer Fokus ist Deine wichtigste Hilfe. Wenn Du mit den Gedanken woanders bist, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass Du auch im Körper fest wirst. Die innere Anspannung überträgt sich eigentlich immer auch nach außen. Es ist unmöglich so locker und fein zu reiten. Aber auch wenn Du die ganze Zeit darüber nachdenkst was ihr erreichen wollt oder was Du als nächstes mit Deinen Beinen machen musst, kannst Du keinen unabhängigen, geschmeidigen Sitz entwickeln. Bei der Bodenarbeit gelingt es mir häufig einfach ganz im Augenblick zu sein – und ich staune immer wieder darüber was das ausmacht. Meine Reitbeteiligung Syndod folgt dann quasi meinen Gedanken. Sie bleibt aus dem Galopp stehen wenn ich ausatme und trabt wieder an, wenn ich mich mit etwas Energie aufrichte. Beim Reiten sind wir noch nicht soweit, aber mein Ziel ist auch hier vielmehr meinen inneren Fokus als Hilfe einzusetzen. Vielleicht argumentierst Du jetzt, dass das ja eigentlich Quatsch ist, dass der innere Fokus selbst gar keine Hilfe ist. Und damit hast Du Recht. Er wirkt sicherlich nicht direkt auf das Pferd, denn ich glaube hier auch nicht unbedingt an eine spirituelle Verbindung. Aber der innere Fokus ist die wichtigste Hilfe für Dich selbst. Denn er bringt all Deine anderen Hilfen, die die Du an Dein Pferd gibst, auf eine Linie. Erst wenn Du wirklich im Augenblick bist, aufhörst über den nächsten Schritt nachzudenken und Dich ganz auf den Moment fokussierst, dann wirst Du anfangen zu fühlen und schließlich ganz automatisch die richtigen Hilfen geben. Wie gesagt, ich bin auf dem Pferderücken auch noch nicht soweit, aber ich weiß was meine Probleme sind. Und sie alle entstehen aus meinem fehlenden inneren Fokus. Ich denke noch viel zu viel darüber nach was ich tun muss und werde dabei fest oder vergesse dafür etwas anderes. Aber manchmal, da gelingt es mir auch wirklich im Augenblick zu sein. Und wann immer es mir gelingt meine wichtigste Hilfe zu nutzen, entstehen diese magischen Reitmomente mit unsichtbaren Hilfen und in absoluter Harmonie.
Aber leider auch nur dann. Manchmal denke ich wirklich, dass die schwierigste Lektion, die wir von den Pferden lernen müssen das Sein in der Gegenwart ist.
Gelingt es Dir immer mit Deinem Pferd in der Gegenwart zu sein? Nutzt Du Deinen inneren Fokus als Hilfe?
11 comments
Liebe Sophie,
ich persönlich habe schon oft festgestellt, dass es mir hilft, wenn ich mir vorstelle, was mein Pferd jetzt macht. Also z.B. wenn ich mit Parcival die Übung Kopf tief mache und mir vorstelle wie er seinen kleinen süßen Kopf nach unten nimmt, klappt es meist richtig gut und ich bekomme sogar das Ergebnis was ich mir vorgestellt habe. Ich denke wenn man sich vorstellt was man gerne hätte, reagiert der Körper recht gut und intuitiv so, dass man dann auch die richtigen Hilfen gibt. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Natürlich setzt das vorraus, dass ich die Hilfen schon mal gelernt habe und mein Körper weiß was er tun soll ;).
Liebe Grüße
Miriam
Liebe Miriam,
das ist genau das was ich meine. Mir hat auch mal ein Reitlehrer gesagt: Stell Dir vor was Du tun sollst, wohin Du reiten und wie schnell Du sein möchtest. Das war ein riesen Aha-Effekt. Es gelingt mir leider nicht immer, aber wenn, dann klappt alles viel flüssiger. Am Samstag bin ich auch auf Syndod, meine Reitbeteiligung, geritten und habe das mal wieder ausprobiert. Es war großartig! Sie ist angetrabt ohne dass ich bewusst die Schenkelhilfe gegeben habe. Ich glaube auch, dass es genau so funktioniert wie Du sagst: Wenn ich die Hilfen theoretisch kann und mir dann vorstelle was ich erreichen will, dann reagiert mein Körper ganz automatisch richtig. So ein Ergebnis kann man nie erreichen, wenn man statt über das Ziel über die Hilfen nachdenkt.
Liebe Grüße,
Sophie
Das in der Gegenwart sein mit dem Pferd ist für mich eine der größten Herausforderungen und gleichzeitig der wichtigsten Dinge, die einem ein Pferd beibringen kann. Ich habe oft zig Dinge parallel im Kopf und stresse mich dann, weil ich alles auf einmal nicht gebacken bekomme. Beim Pferd musst du aber ganz da sein – schließlich lebt es selbst im Moment – sonst kann das schnell nach hinten losgehen. Die holen einen immer ganz schnell runter, das finde ich klasse.
Zu dem Fokus fällt mir eine Geschichte von der Leslie-Desmond-Clinic ein. Gen Ende der Session sollte eine Reiterin absteigen. Ihr Pferd wurde aber immer schneller und fiel in den Galopp. Alles kontrolliert, aber eben nicht das, was die Reiterin wollte. Leslie sagte zu ihr, dass sie nicht versuchen solle daran zu denken, wie sie das Pferd aus dem Galopp zum Halten bringt. Sondern daran, wie das Pferd anhält. Es stand innerhalb von Sekunden. Das hat mich tief beeindruckt und ist ein weiteres Beispiel für die Kraft unserer Gedanken und unserer Vorstellung. VG!
Wow, eine eindrucksvolle Geschichte. Und genau so erlebe ich es auch (wenn auch nicht in so extremer Ausprägung). Wenn ich mich auf die Hilfen konzentriere (was ich leider noch oft tue), dann ist alles mühsam und schwierig und weit entfernt davon „flüssig“ auszusehen. Aber wenn ich an das Ergebnis denke, dann passiert alles ganz automatisch. Aber so sehr in der Gegenwart zu sein, ohne andere Gedanken im Kopf, das fällt mir auch manchmal echt schwer. Leider wird das auch fast nie im Reitunterricht thematisiert, obwohl das für mich soetwas wie ein Generalschlüssel ist. Zum Glück haben wir, genau wie Du sagst, in unseren Pferden die besten Lehrmeister dafür. 🙂
Und tatsächlich ist es das wichtigste aller Mittel, die wie Nutzen um mit dem Pferd zu kommunizieren. Ich übe mich seit Jahren darin, ganz bei mir und beim Pferd zu sein, wenn ich mit ihm bin. Und das hilft nicht nur dem Pferd, sich auf uns einzulassen sondern auch uns ungemein loszulassen. Herr Pony dankts und rennt wie ein Irrer auf mich zu, wenn ich ihn besuche. Sogar der Kleine steckt mittler Weile das Köpfchen freiwillig und von selbst ins Halfter, weil er sich freut auf unsere Unternehmungen 🙂
Wenns aber mal garnicht klappt und meine Gedanken irgendwo festhängen, vermeide ich das Training an solchen Tagen 🙂
liebe Grüße!
Liebe Tanja,
ja, das mache ich tatsächlich auch. Wenn ich merke, dass ich so gar nicht von dem Gedanken-Wirrwarr runterkomme, dann mache ich auch nichts mit Soudi. Dann setze ich mich oft einfach nur zu ihm auf die Weide – allerdings bleibt er dann sogar nicht einmal in meiner Nähe. Ich glaube wir Menschen sind den Pferden einfach unheimlich oder unangenehm, wenn wir in Gedanken woanders sind. Wahrscheinlich weil ihnen das so fremd ist. Aber an all den anderen Tagen, an denen es mir gelingt alle Sorgen und Gedanken am Koppeltor zurückzulassen, kommt er mir auf der Koppel entgegengetrabt und schenkt mir all seine Aufmerksamkeit. Er ist dann eine richtige kleine Klette und macht es mir unheimlich leicht auch ganz bei ihm zu sein. 🙂
Also ich geb meine Sorgen auch immer am Koppeltor ab 🙂
Recht hast du – die Frau macht sich das Leben auch immer selber schwer. Komisch, dass Menschen immer soviele Sachen in ihre kleinen Köpfe reinpacken und mit sich rumschleppen. Das macht doch keinen Spaß, oder? Das Leben könnte viel einfacher sein, wenn man sich aufs Wesentliche konzentriert: essen, schlafen, Pony lieb haben.
Oder aufs einfach sein.
Boah, bin ich heute philosophisch 🙂
LG
Dein Pfridolin
Ich glaube Du wechselst von Teilzeit zu Vollzeit was das Philosophieren angeht. Leider müssen wir Menschen ja meist noch das Futter für uns und das Pony verdienen. Aber dass wir dann alles mögliche mit uns rumschleppen, das ist natürlich völliger Murks. Macht wirklich keinen Spaß, da hast Du völlig recht. Aber wir üben fleißig dem Zen so nahe zu kommen wie ihr Pferde. 🙂
Das man ruhig, gelassen und geduldig ist, ist wichtiger als die korekte Beinhaltung.
Ich muss von der haltestelle zum Stall noch 2,5 kilometer laufen, in der Zeit höre ich musik, genieße die landschaft und überlege schon mal was ich gleich mit meinem Kleinen so anstelle.
Spätestens wenn ich mit einem lauten Wiehern begrüßt werde, fällt alles negative Denken von mir ab und ich bin einfach glücklich.
Aber wenn ich wirklich schwierigkeiten habe mich zu konzentrieren, auf das Hier und jetzt bei meinem Kleinen, höre ich auch beim Reiten Musik.
Mag sein das sowas bei anderen Reitern verpönt ist, aber mir hilft es total, weil es die innere Gedankenstimme ausblendet und ich allgemein als Musikmensch viel entspannter bin.
Wo dieser Fokus, die innere Einstellung mir bewiesen hat das es ihn gibt, war mal, als ich noch keinen Sattel hatte sondern nur einen Longiergurt. Mein kleiner buckelt gerne beim gallopieren, besonders beim angalloppieren. Ich habe es nicht hingekriegt ihn anzugalloppieren, weil ich innerlich es gar nicht wollte, da ich angst hatte zu fallen. Als ich eine Woche später endlich einen Sattel hatte, klappte es problemlos.
Hi Mandy,
das was Du vom Angaloppieren erzählst, das kann ich auch nur bestätigen. Ich habe es auch schon mehrmals erlebt, dass es mit demselben Pferd und unterschiedlichen Reitern ganz unterschiedliche Probleme gibt. Nicht weil das Pferd launisch wäre, sondern wegen innerer Blockaden der Reiter. In meinem letzten Reiturlaub haben wir ganz viel Galopptraining gemacht, weil wir alle auf dem Platz Probleme damit hatten. Grund dafür waren natürlich nicht die Pferde, sondern dass wir alle uns verkrampft haben, weil wir auf dem kleinen Platz Schiss hatten.
Und zu dem Thema Musik: Ich finde erlaubt ist was hilft. Wenn es Dich entspannt beim Reiten Musik zu hören und das euch beide in Einklang bringt, was sollte denn dann dagegen sprechen? Ich glaube nicht, dass Dein Pferd das unhöflich findet… 😉 Er würde es ziemlich sicher unhöflicher finden, wenn Du mit Deinen Gedanken ganz woanders wärst. Ich finde es super, dass Du für Dich einen Weg gefunden hast, um Dich zu fokussieren. Das ist es doch was zählt! 🙂
Das ist echt erstaunlich, dass das so einen krassen Unterschied macht und Soudi das so doll merkt!! Das hätte ich nie gedacht. Ich habe nun nicht wirklich Ahnung vom Reiten, aber merke es auch bei der Gesangsstunde oder beim Tennistraining, dass einfach gar nichts klappt, wenn ich mit dem Kopf noch bei der Arbeit bin.
Oder wenn ich an einzelne Details denke, die ich beim nächsten Ballwechsel gut machen muss („jetzt ganz doll aufs Timing achten!“ – „nun besonders gut durchschwingen!“ – „Jetzt besonders viel Körpereinsatz!“): Es bringt einfach GAR nichts.
Wenn ich mir aber das ZIEL vorstelle, wo ICH will, dass der Ball hingeht, und mit wieviel Schwung, dann kommen manchmal intuitiv Bälle dabei heraus, die mich selbst überraschen.