Wir Reiter sagen: „Ein gutes Pferd hat keine Farbe!“ Und was wir meinen ist: Achte auf die inneren Werte und lass Dich von Äußerlichkeiten nicht täuschen. Umso mehr verwundert es mich, dass diese Weisheit bei allzu Vielen vergessen ist, sobald es um Menschen geht.
Eigentlich geht es bei Chevalie ja um Pferde. Und das soll auch so bleiben. Aber von Anfang an ging es hier auch immer um Toleranz, darum, voneinander zu lernen statt sich zu bekriegen. Ich glaube, dass das im Reitsport wichtig ist und vielleicht noch viel mehr im „echten“ Leben. Deshalb nehme ich mir die Freiheit, die Pferde heute mal auf der Koppel zu lassen und über ein Thema zu schreiben, das mir ebenso sehr am Herzen liegt. Da dieses Thema in den letzten Wochen auch immer wieder auf erschreckende Art und Weise in Reitsportforen und -gruppen aufgekommen ist, habe ich beschlossen, dass es auch hier richtig ist.
Ich habe Geschichte studiert. Die neuere Geschichte des Nahen Ostens, um genauer zu sein. Keine Angst, ich werde Dir jetzt keinen Geschichtsvortrag halten, aber diese Information ist wichtig, um zu verstehen, warum ich mehrere Monate in Syrien gelebt habe. Ich bin dorthin gegangen, um die Sprache ein wenig zu lernen und die Kultur zu verstehen und weil es ein großartiges Land war, voller historischer Schätze. Damaskus ist die älteste durchgehend bewohnte Stadt der Welt und ihre Steine atmen Geschichte(n).
Und außerdem gab es ziemlich viele Katzen. Eindeutig ein weiterer Pluspunkt.
Als ich nach Syrien ging war es ein stabiles Land, das sich langsam gen Westen öffnete. Aber trotzdem hatte ich Angst. Nicht davor entführt oder in die Luft gesprengt zu werden, sondern vor der Fremde. Ich ging dorthin ohne die Sprache zu sprechen, ganz allein und ohne dass ich ein arabisches Land je außerhalb der Tourismusgebiete gesehen hätte.
Heute sind tausende Menschen in Deutschland in einer ähnlichen Situation – mit dem gravierenden Unterschied, dass ich „reich“ in der Fremde war und jederzeit hätte gehen können. Die Flüchtlinge, die es unter Qualen und Lebensgefahr hierher geschafft haben, haben diese Wahl nicht. Sie haben alles verloren. Sie haben nur noch uns.
Als ich nach Syrien ging, wurde mir meine Angst schnell genommen. Und sie kehrte in all den Monaten, die ich dort verbrachte, niemals zurück.
Natürlich war es in manchen Details anders als bei uns, aber eigentlich war es genauso wie hier. Die Menschen haben normale Leben geführt. So wie wir jeden Tag. Die Kinder sind morgens zur Schule gegangen und haben sich am Nachmittag zum Spielen in den Gassen von Damaskus getroffen. Die Eltern haben ihre Geschäfte geführt, in Cafés diskutiert oder eingekauft. An der Universität, wo auch ich studierte, habe ich moderne junge Syrerinnen getroffen, die große Visionen für ihr Land hatten. Es gibt keinen Unterschied zwischen „ihnen“ und „uns“. Nichts als ein paar Äußerlichkeiten…
Dass ich diesen Alltag erlebt und zwischen diesen Menschen gelebt habe, die nun zwischen Trümmern und in Angst hausen, macht diesen Krieg anfassbar, real und begreifbar. Es ist kein fernes Geschehen in einem fernen Land für mich, das ich aus der Ferne beobachte als wäre es ein schrecklicher Film.
Wenn ich an den Krieg in Syrien denke, dann denke ich an diese Menschen, denen ich begegnet bin. Daran, dass dieser Alltag, den wir dort gemeinsam erlebt haben, jetzt nicht mehr existiert. Dass dieselben Menschen gegen Hunger kämpfen, Freunde und Familie verloren haben und täglich im Kugelhagel sterben könnten.
Und ich denke jedes Mal: Das könnten wir sein. Wir haben unheimliches Glück in diesem reichen, stabilen, sicheren und demokratischen Land geboren zu sein. Hätten wir weniger Glück gehabt, dann wäre es unser Alltag, nach dem wir uns nun zurücksehen würden. Dann würden wir an den Gräbern unserer Lieben sitzen oder uns in halb zerfallenen Gebäuden vor Granatsplittern verstecken.
Als ich dort war, fremd und ohne Sprache in diesem fernen Land, da wurde ich mit Großzügigkeit, Offenheit und Gastfreundschaft aufgenommen. Statt mir mit Misstrauen zu begegnen, begegnete man mir mit Hilfsbereitschaft und ehrlicher, unverstellter Neugier.
Wenn nun jemand in Deutschland Zuflucht sucht, dann wünsche ich mir, dass wir demjenigen genauso begegnen.
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Disclaimer: Ich glaube und hoffe eigentlich nicht, dass ich das sagen muss, da ich glaube, dass Du als mein Leser nicht nur im Stall, sondern auch im Leben Toleranz groß schreibst. Aber das hier ist mein Zuhause. Hier ist kein Platz für Hetzerei und menschenverachtendes Gerede. Ich werde keinen dieser „Ja, aber…“-Kommentare freischalten und bitte alle, die meinen wir hätten schon genug getan und Flüchtlingsboote sollten am besten direkt versenkt werden, Chevalie sofort zu verlassen und nie mehr zurückzukehren. Das hier ist kein Ort für euch.
Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun, sondern ausschließlich mit Menschlichkeit.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich gegen all diese haarsträubenden „Argumente“ da draußen anschreiben sollte. Für den Augenblick habe ich mich aber dagegen entschieden, weil das in meinen Augen kein Thema ist über das man diskutieren könnte oder müsste. Ich kann nur für uns hoffen, dass wir niemals in dieser Situation sein werden – und falls doch, dass diejenigen, die uns dann aufnehmen müssen, nicht vergessen haben, was Menschlichkeit bedeutet. Irgendwann werden diese albernen, zum Teil mit Linealen auf Landkarten gezogenen Grenzen ohnehin niemanden mehr interessieren, denn dann werden wir ganz andere Probleme haben, die nicht mehr „unser Land“, sondern unsere Erde betreffen.
1 comment
Liebe Sophie,
wunderbar geschrieben.
Ich bin da ganz bei Dir, wir sollten dankbar sein in einem sicheren Land zu leben.
Liebe Grüße Swantje