Du musst ruhig und beständig sein! Du musst impulsiv sein! Du musst ehrgeiziger sein! Du musst nachgiebiger sein! Du musst extroviertiert sein! Du musst introvertiert sein!
Am besten bist Du mit Deinem Pferd gleich ein ganz anderer Mensch, sonst ist es unmöglich, dass ihr beide jemals irgendetwas zusammen erreicht!
Die meisten halten ihre eigene Art für die beste
Egal wen Du fragst, auf die Frage, wie Du mit Pferden arbeiten solltest, wirst Du nicht nur die verschiedensten Antworten zur “Technik” bekommen, sondern auch zu den vermeintlich idealen persönlichen Eigenschaften. Zumindest ging es mir so. Ganz so drastisch wie oben beschrieben sah das dann natürlich nicht aus. Oft sind diese Ratschläge in anderen Phrasen versteckt. “Du musst mehr aus Dir herauskommen!” oder “Du musst gleichmütgier werden.” Zum Beispiel. Oder es gibt Trainer, die empfehlen, dass man sehr viel mit seinem Pferd sprechen soll. Das ist nicht falsch und funktioniert in vielen Fällen wunderbar: Wenn Du formulierst was Du möchtest, dann fällt es sehr viel leichter Deinen inneren Fokus auf den Moment zu richten und ein extrovertierter Mensch wird das dann eben aussprechen. Für einen introvertierten Menschen – wie mich – kann das eine lästige Ablenkung sein. Mir fällt es verhältnismäßig leicht mich zu fokussieren, das geschieht allerdings in meinem Kopf und nicht außerhalb – es auszusprechen lenkt mich in den meisten Fällen mehr ab als dass es hilft und das zerstört meinen inneren Fokus. Ich spreche mit Soudi kaum während wir uns konzentrieren, dafür umso mehr, wenn etwas gut geklappt hat, oder ich ihn beruhigen will. Ist das falsch? Nein, natürlich nicht. Genauso wenig wie es für jemand anderen falsch ist, viel mit seinem Pferd zu reden. Wichtig ist nur, dass man das findet, was für einen selbst am besten funktioniert.
Vor Pferden kannst Du Dich nicht verstellen
Eine ganze Weile habe ich versucht, extrovertierter mit meinem Pferd zu sein. Mehr aus mir herauszukommen. Weil mir eingetrichtert wurde, dass das wichtig ist. Dass nur dann dieser stolze Ausdruck entsteht, dass nur dann Pferd und Mensch miteinander tanzen können.
Und? Was meinst Du, was passiert ist? Soudi hat mich mit dem Hintern nicht mehr angeguckt. Er war irritiert und abgelenkt von meinen neuen Avancen und konnte damit gar nichts anfangen. Nicht weil er sich darauf nicht hätte einstellen können, sondern weil er gemerkt hat, dass das nicht ich bin. Und das ist für ein Pferd nicht nur seltsam, sondern schlichtweg nicht vertrauenswürdig. Sich zu verstellen kann vielleicht mit Menschen funktionieren, aber bei Pferden hast Du damit keine Chance.
Alles ist relativ
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns jetzt alles erlauben können mit der Begründung “So bin ich halt.”. Natürlich müssen wir an uns arbeiten, müssen fair sein, uns auch mal zusammenreißen, wenn unser Temperament mit uns durchgehen will. Wir müssen uns auf unser Pferd einstellen, ihm Sicherheit und Ruhe oder viel Energie geben, je nachdem in welcher Stimmung es sich befindet. Aber das wird bei mir ganz anders aussehen als bei einem extrovertierten Menschen. Wenn ich Soudi mit viel Energie begegne, dann werde ich nicht laut durch die Gegend springen, aber wer genauer hinsieht, der wird mehr Spannung bemerken und dass ich mich plötzlicher und impulsiver bewege, herausfordernder. Wer natürlich nicht hinsieht, der wird wohl keinen so großen Unterschied bemerken. Aber das macht nichts, denn Soudi sieht immer genau hin. Ihm entgehen die feinen Signale nicht und er reagiert darauf genauso wie er auf lautere Signale von einem extrovertierten Menschen reagieren würde. Und das ist das einzige was zählt. Also lass Dir nichts anderes erzählen!
Manche Persönlichkeiten passen nicht zusammen
Es kann auch Konstellationen geben, in denen die Persönlichkeiten von Pferd und Mensch einfach nicht zueinander passen. Sich zu verstellen wird das Problem dann aber auch nicht lösen. Bevor ich Soudi gekauft habe, habe ich mir ja mehrere Pferde angesehen. Eins davon entsprach so sehr dem Traumpferd, das ich mir schon als Kind immer ausgemalt hatte, dass es fast unheimlich war. Ich war tierisch aufgeregt, als ich dorthin gefahren war und hielt es für ziemlich wahrscheinlich, dass ich an diesem Tag ein Pferd kaufen würde. Er war (und ist) wunderschön und ein grandioses Pferd, aber wir beide? Das passte überhaupt nicht. Unsere Energie und Art zu kommunizieren war so unterschiedlich, dass es zwischen uns – trotz seiner Schönheit – überhaupt nicht gefunkt hat. Als ich vom Hof fuhr wusste ich, dass das nie mein Pferd werden würde. Wenig später hat dieses Traumpferd seinen Besitzer gefunden und die beiden sind so glücklich und harmonisch wie man es sich nur wünschen kann. Wo dieses Pferd bei mir nervös rumtänzelte, ist es bei ihm tiefenentspannt. Und ich fand Soudi. <3
Genauso wie wir mit unterschiedlichen Menschen besser oder schlechter harmonieren, ist es auch bei unterschiedlichen Pferden. Und genauso wie Du Dich auf unterschiedliche Pferdetypen einstellst und nicht mit jeder Pferdepersönlichkeit gleich arbeiten wirst, stellen sich unsere Pferde auch auf unterschiedliche Menschenpersönlichkeiten ein. Dass Soudi so gut auf meine eher ruhige Art der Kommunikation eingestellt ist, heißt nicht, dass er mit einem “lauteren” Menschen nicht genauso kommunizieren könnte. Das sieht dann nur anders aus, aber er wird sich darauf genauso einstellen. Die meisten Pferde können sich auf viele verschiedene Menschenpersönlichkeiten einstellen und andersherum. Aber es gibt Menschen (und Pferde) außerhalb des Spektrums.
Sei Du selbst!
Worauf ich hinaus will ist: Sei Du selbst. Egal wer Dir sagt, Du müsstest Dich ändern: Er hat unrecht. Du kannst an Dir arbeiten, Schwächen ausgleichen und an Stärken arbeiten, aber Du kannst Deine Persönlichkeit nicht verändern und das musst Du auch nicht. Und vor allem: Lass Dir Deine Art von niemandem (erst Recht nicht von jemandem von der anderen Seite des Spektrums) als Schwäche verkaufen. Dein Pferd sieht es vielleicht als Stärke! 😉
Bist Du mit Deinem Pferd immer Du selbst? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?
3 comments
[…] Uns unserer Selbst bewusst zu sein bedeutet vor allem, dass wir uns so lieben lernen, wie wir sind. Genau das können wir zum Glück jeden Tag von unseren Pferden lernen. Die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, sie zu achten und sich selbst nicht in die Enge zu drängen, während man versucht es anderen (und das kann auch unser Pferd sein) recht zu machen. Auch Sophie von Chevalie hat dazu ihre Gedanken auf ihrem Blog in Worte gefasst: „Sei du selbst!“ […]
Das ist endlich mal eine Seite für Pferdefreunde mit Herz und Verstand! Ich bin heute 26 und reite erst seit 6 Jahren. Vor einem Jahr entschied ich mich ein eigenes Pferd zu kaufen. ich wollte ein erfahrenes und gut ausgebildetes Pferd. Geworden ist es ein 3 jähriger, roher und ängstlicher Pinto. Und ich bin so dankbar, dass ich ihn gefunden habe. Wir hatten den restlichen Sommer rund den Winter um Vertrauen aufzubauen und anzufangen einen Weg zu finden. Ich habe im Februar lange nach jemandem gesucht der mir beim einreiten hilft. Eine lange Suche mit jede Menge Enttäuschungen. Aber endlich fand ich zwei Menschen die meinen kleinen bei sich aufnahmen und ihn gemeinsam mit mir eingeritten haben. Sie unterstützen mich auch jetzt nach der ersten Ausbildungsphase und stehen mit rat und Tat an unserer Seite. Ich finde es sehr wichtig, dass man als unerfahrener Reiter, der ein junges Pferd kauft, Menschen an seiner Seite hat, die einen unterstützen. Die daran glauben, dass man es schaffen kann. Keto und ich sind auf einem guten Weg. Auch wenn das nicht alle so sehen (Stichwort: Der galoppiert ja falsch an) Ja, aber er galoppiert an und buckelt mich nicht herunter. Der Feinschliff kommt doch noch.
Für alle die lernen wollen sich auf pferdegerechte Weise Respekt zu verschaffen und überhaupt mit dem eigenen Pferd zu kommunizieren, empfehle ich Horsemanship. Ich habe mit Keto einen Kurs besucht und es hilft uns jeden Tag. Es sorgt für eine sichere und missverständnisfreie Arbeit.
Allen gleichgesinnten hier wünsche ich viel Glück und Freude mit euren Freunden. Hört auf euer Gefühl, lernt fleißig und hört auf die RICHTIGEN Leute.
Hallo Ulli, bitte entschuldige, dass ich jetzt erst antworte. Ich war lange inaktiv und gehe gerade all die Kommentare durch, die mir entgangen sind. Wie wunderbar, dass ihr euren gemeinsamen Weg gefunden habt. Die richtigen Menschen an der Seite zu haben ist unendlich kostbar. Schön, dass Du das für euch gefunden hast. Welcher Weg letztendlich für den Einzelnen der richtige ist, kann durchaus unterschiedlich sein. Hauptsache Mensch und Pferd fühlen sich damit wohl und können auch umsetzen was sie lernen. Viel Freude euch beiden auf eurem gemeinsamen Weg!