„Der testet Dich, Du musst Dich mal durchsetzen!“ Diesen Satz habe ich schon unheimlich häufig in diversen Reitställen, von verschiedensten Menschen und auf unterschiedlichste Pferde bezogen gehört. Aber stimmt das wirklich? Testen unsere Pferde uns? Und wie sollten wir darauf reagieren?
Dein Pferd testet Dich – was heißt das eigentlich?
Das Pferd reagiert nicht auf die Hilfen, legt sich auf die Hand oder geht nicht vorwärts. In schlimmen Fällen bleibt es einfach stehen, verweigert den Sprung oder macht was es will. In solchen Fällen wird häufig behauptet, dass das Pferd seinen Reiter testet. Aber was bedeutet das eigentlich? So ganz falsch ist die Interpretation eines solchen Verhaltens oft nicht. Denn das Pferd testet oft tatsächlich, ob es seinem Reiter folgen sollte. Das liegt in seiner Natur, denn es ist für ein Pferd überlebenswichtig, dass die Herdenchefin, der es folgen soll, den Überblick behält, weiß wo es lang geht und wo Gefahr droht. Das Pferd überzeugt sich also auch beim Menschen davon, ob er die richtige Führungsperson ist, der man folgen kann. Wenn nicht, dann übernimmt das Pferd das lieber selbst. Dies geschieht aus einem Sicherheitsinstinkt heraus. Als Reiter ist es unsere Aufgabe unserem Pferd zu vermitteln, dass das was wir vorhaben wichtig ist, dass es Sinn macht und es uns in unserem Vorhaben folgen sollte. Ansonsten wird ein Pferd nicht das Vertrauen haben oder schlichtweg vermeiden wollen Energie zu verschwenden (die es vielleicht im nächsten Augenblick für die Flucht vor einem Raubtier brauchen könnte).
„Dein Pferd testet Dich.“ ist meist keine neutrale Aussage.
„Dein Pferd testet Dich“ – wer das sagt, für den ist das meist keine objektive Feststellung. Das „Testen“ ist negativ belegt und wird oft sogar persönlich genommen. Es heißt nicht „Dein Pferd testet, ob Du ein vertrauenswürdiger Partner bist“, sondern „Dein Pferd verarscht Dich!“. Das ist natürlich völliger Quatsch, kann aber in der Frustration des Augenblicks durchaus auf fruchtbaren Boden fallen. Die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Interpretation des Verhaltens ergeben, sind genau diejenigen, die einer vertrauensvollen Partnerschaft nicht zuträglich sind. Denn das Durchsetzen, das dann gefordert wird, besteht oft aus kräftigen Gertenhieben und ähnlichem. In Wirklichkeit haben Pferde keine Vorstellung davon was es heißt jemaden zu veräppeln. Sie suchen den leichtesten Weg, der ihnen der sicherste scheint und bei dem sie im Zweifel Kräfte für den Ernstfall aufsparen können. Wenn sie sehr selbstsicher sind, dann können sie auch eher zu dem Schluss kommen, dass sie wohl selbst besser wissen wo es lang geht und was das beste wäre. Wer in so einer Situation die Nerven verliert, emotional wird und sich mit Gewalt durchzusetzen versucht, der wird dadurch nicht zum vertrauenswürdigen Anführer. Natürlich funktioniert es auch, dem Pferd die Gegenwehr so schwer zu machen, dass es sich dazu entschließt den Anweisungen zu folgen. Dies erreicht man auch mit Gewalt. Aber wer möchte schon so eine Beziehung zu seinem Pferd führen? Wäre es nicht viel besser, wenn unser Pferd davon überzeugt wäre, dass wir schon wissen was das Beste ist und uns deshalb folgt?
Solange wir uns nicht als vertrauenswürdig erwiesen haben, sollte ein Pferd uns in Frage stellen!
Würdest Du auf jemanden hören, der etwas in Deinen Augen völlig schwachsinniges von Dir verlangt und weder faktisch noch gefühlt über Dir steht? Ich nicht. Und deshalb würde ich das auch nicht von einem Pferd verlangen wollen. In einem Mark Rashid Buch erklärt sein Lehrmeister, der alte Mann, ihm einmal, dass die Stute unter ihm so flüssig geht, weil er ihr das Gefühl gibt einmal quer über den Platz zu galloppieren ist das einzige was in diesem Augenblick zählt. Er ist überzeugt von dem was er möchte, er weiß wo es lang geht und ist in der Lage das auch seinem Pferd zu vermitteln. Wenn jemand von mir also etwas verlangt und es schafft mir das Gefühl zu geben, es gebe nichts wichtigeres…dann würde ich ihm folgen. Egal ob er faktisch oder gefühlt über mir steht. Das hat mit Dominanz nichts zu tun, sondern mit Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit. Ich würde ihm folgen, weil er weiß was zu tun ist und seine Überzeugung von der Wichtigkeit unseres Tuns auf mich übergegangen ist. Das ist es, was uns auch mit unseren Pferden gelingen muss. Und das ist eine verdammt schwere Lektion. Wer mehr darüber lesen möchte, wie wir uns als vertrauenswürdig beweisen können, der kann z.B. hier weiterlesen.
Angst, Unsicherheit oder Testen? Was wirklich dahinter steckt ist oft schwer zu erkennen.
Ein weiterer Grund, warum wir nicht zu Gewalt greifen, sondern immer geduldig und konsequent bleiben sollten ist die Tatsache, dass oft schwer zu erkennen ist was hinter dem Verhalten eines Pferdes steckt. Testet es uns, oder versteht es vielleicht gar nicht was wir von ihm wollen. Ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die sicher sein können selbst keinen Fehler zu machen. Und vielleicht interpretiert das Pferd unsere Hilfen nur anders, weil der Vorbesitzer es ihm anders beigebracht hat. Vielleicht liegt der Sattel heute ein bisschen weiter vorne und die Hilfe kommt deshalb an einer anderen Stelle an als sonst. Vielleicht haben wir uns in der Nacht verlegen und sitzen unbewusst ein wenig schief. Vielleicht steht die Aufstiegshilfe in der Halle heute an einer anderen Stelle und das Pferd wird dadurch unsicher… Es gibt tausend Gründe, warum eine Hilfe in dieser Situation anders beim Pferd ankommt als sie sollte. Ein hartes Durchgreifen wäre in so einer Situation sicher fehl am Platze, oder?
Ok, dann testet er mich vielleicht nicht, sondern hat einfach keine Lust?! Mit der Frage hat sich Tash Horse Experience auseinandergesetzt und darauf sehr gute Antworten gefunden!
Hat Dein Pferd Dich auch getestet oder testet es Dich noch?
Bist Du neu bei Chevalie? Unter „Neu hier?“ findest Du die wichtigsten Infos. 🙂
10 comments
Den Satz „der verarscht Dich doch“, den habe ich anfangs auch sehr oft gehört und war immer verwirrt. Heißt das etwa, ich muss jetzt etwas tun und wenn ja was? Und verarscht mich das Pferd da bewusst? Heißt das, es plant jetzt etwas? Ich konnte mit dem Satz ehrlich gesagt nichts anfangen, denn einerseits gibt er mir keine Hilfe und andererseits erscheint es unlogisch, dass Instinktgeleitete Tiere, wie Pferde, jemanden verarschen wollen. Da steckt so viel schlechtes in diesem Satz. Mittlerweile ist mir klar, dass dieser Satz vollkommener Blödsinn ist. Du hast so Recht mit Deinem Text! Es geht nur darum, ob wir vertrauenswürdig sind. Und wenn wir unklare Signale geben, unsicher herumhampeln oder gestresst und unfair handeln, dann sind wir nun einmal nicht vertrauenswürdig. Danke für diese wunderbare Zusammenfassung! Liebe Grüße, Petra
Liebe Petra,
vielen Dank. Ich freue mich, dass Dir der Artikel gefällt. Das war auch ein Thema, das mir sehr am Herzen lag, weil es mir auch schon soooo oft begegnet ist. Wir müssen einfach davon weg kommen unserem Pferd die Schuld für das zu geben was schief läuft. In Wirklichkeit verursachen immer wir (oder eventuell Vorbesitzer) die Probleme, weil wir zu viel wollen, zu schlecht erklären oder die Natur unseres Pferdes nicht verstehen. Es freut mich, dass Du genauso denkst! 🙂 LG, Sophie
Liebe Sophie
Die Behauptung „Dein Pferd testet Dich“ ist auch deswegen sehr fragwürdig, weil die Wahrheit dieser Aussage implizieren würde, dass Pferde Absichten ausbilden können. Das Pferd hat also die Absicht, mit seinem Verhalten herauszufinden, wie ernst es dich nehmen muss. Das ist eine sehr gewagte Theorie. Denn Absichten sind komplexe mentale Repräsentationen und es ist in der Wissenschaft sehr umstritten, ob überhaupt irgendein Tier so etwas wie eine Absicht ausbilden kann (was aber nichts mit dem Absprechen von Intelligenz zu tun hat). Unkompliziert ausgedrückt: „Dein Pferd testet Dich“ ist eine sehr vermenschlichte Aussage und es ist nur schwer nachzuweisen, ob man Pferdeverhalten so übersetzen kann. Man kann eher sagen, dass das Pferd in den von diesen Sätzen beschriebenen Situationen macht, was es sowieso machen würde und man ihm entweder etwas viel Interessanteres bieten muss, um es davon abzulenken oder so maßregeln muss, dass es sein Verhalten unterlässt, um nicht mehr bestraft zu werden (letzteres würde ich vermeiden).
Liebe Grüße
Luise (www.cavalupo.blogspot.de)
Liebe Luise,
danke für die Ergänzung. Du hast völlig recht: Dem Pferd so eine Absicht zu unterstellen ist völlig unberechtigt. Kein Pferd verfolgt die Intention uns zu ärgern. Es übernimmt nur die Rolle, die unser Verhalten ihm zuteilt. So muss das auch sein. Ich würde sogar soweit gehen, dass ein Pferd das Verhalten, das wir manchmal als „testen“ bezeichnen nicht zeigt, wenn wir ein guter „Chef“ sind und das Pferd davon überzeugt ist, dass unsere Ideen schon die besten sind.
Diese Interpretation, die so oft in den Ställen zu hören ist, ist jedenfalls unberechtigt.
Liebe Grüße!
Sophie
Hallo Luise,
ich bin nicht so der Wissenschaftstyp, deswegen habe ich da eine Nachfrage 🙂 Kannst du Absicht näher definieren? Ich habe vor einiger Zeit ein Video gesehen, in dem die Schlossknacker-Fähigkeit eines Papageis getestet wurde. Ein Kästchen mit Futter wurde mit immer raffinierteren Schlössern ausgestattet um zu sehen, ob er in der Lage ist, die Schlossmechanismen zu durchdenken. Das clevere Vieh war vorn mit dabei und durch nichts aufzuhalten. Daraus schlussfolgere ich, dass er die Absicht hatte, ans Fressen zu kommen. Was ja weitergedacht bedeutet würde, dass man auch Pferden eine Absicht nicht absprechen kann. Was meinst du? viele Grüße! Nadja
Das würde mich auch interessieren. Ich könnte es aus philosophischer Sicht angehen (habe ich studiert), aber ich schätze das führt jetzt zu weit… ;D Der wissenschaftliche Background wäre aber echt spannend!
Liebe Sophie,
ich muss gestehen, dass ich ein Problem mit dem Wort „testen“ habe. Genau wie du, erlebe ich oft, dass damit gemeint ist, dass das Pferd einen verarscht. Meiner Erfahrung nach geht es aber immer darum den einfachen Weg zu gehen, wenn etwas nicht klappt und das Ganze auf das Pferd zu schieben. Wie oft bekomme ich mit wie Menschen von ihren Pferden etwas verlangen was sie ihm nie so wirklich beigebracht haben (z.B. stillstehen beim Aufsteigen). Hier wird einfach davon ausgegangen, dass das Pferd das schon kann und es einen testet, wenn es das nicht tut. Dass das Pferd aber oft gar nicht so genau weiß, was eigentlich das erwünschte Verhalten ist, wird dabei komplett übersehen.
Ich glaube übrigens auch nicht, dass Pferde uns in eine Rangordnung einordnen. Denn meiner Ansicht nach sind Pferde durchaus in der Lage zu erkennen, dass wir Menschen keine Pferde sind und nicht in ihr Herdengefüge gehören. Wobei ich auch hier in Parcivals Herde, die ein kleiner Familienverband ist, nicht feststelle, dass es irgendwelche Rangordnungsthemen gibt.
Wenn ich an mir selber arbeite, souverän bin und weiß, was ich will, dann schließt sich mein Pferd mir freiwillig an. Ich bin nicht der Chef, wir sind gleichberechtigte Partner, aber wenn ich einen Vorschlag mache, dann nimmt Parcival diesen meist gerne an.
Manchmal erwische ich mich auch dabei, dass ich kurz denke, der verarscht mich doch, aber wenn ich die Situation dann genauer anschaue muss ich eigentlich immer sagen, er konnte mich entweder nicht verstehen, oder ich hab viel zu viel Druck gemacht.
Ich selber habe oft erlebt, dass es in den allermeisten Fällen einfach Kommunikationsschwierigkeiten sind. Der Mensch geht doch oft über das Pferd hinweg und kann seine Welt nicht so richtig teilen. Bei uns im Stall steht eine Stute, die von allen als schwierig eingestuft wird. Sie ist laut den anderen eine Zicke, der man mal zeigen muss wo es lang geht. Dieses Pferd wehrt sich jedes Mal, wenn einfach über sie rüber gegangen wird. Mir tut die Stute leid, denn ich sehe in ihr was ganz anderes. Ich sehe ein verwirrtes und demotiviertes Pferd, was aufgegeben hat die Menschen verstehen zu wollen und sich deshalb einfach wehrt. Mit jedem Mal wo dem Pferd „gezeigt wird wer der Boss ist“ sehe ich, dass dieses Pferd sich weiter von seinem Menschen entfernt. Hier würde statt dem üblichen „die testet dich“ helfen einmal hinzufühlen und Beziehungsarbeit zu leisten. Dem Pferd mal zuzuhören und nicht drauf einprügeln oder Seile um den Kopf zu klatschen. Oder das Pferd barsch rückwärts schicken. Dieses unhöfliche Verhalten dem Pferd gegenüber führt dazu, dass das Pferd auch keine Lust mehr auf Menschen hat. Mir tut es nur leid, aber leider stoßen meine Worte hier auf taube Ohren. Ich bin die Verrückte mit dem viel zu kleinen Pony, die keine Ahnung von „richtigen“ Pferden hat. 🙁
Liebe Grüße
Miriam
[…] Auch in dem kleinen Gespann bestehend aus Pferd und Mensch muss es eine klare Rangfolge geben. Wir müssen unserem Pferd glaubhaft das Gefühl der Sicherheit vermitteln und das wir wissen, was wir tun. Genau dieses Verhalten zeigt unseren Pferden, dass man uns vertrauen und folgen kann. Diese Hierarchie wird das Pferd immer wieder überprüfen, da es in der freien Wildbahn lebensnotwendig ist. Nicht aus böser Absicht, sondern weil es sicher gehen muss, dass wir weiterhin dieses Vertrauen verdient haben. Oft habe ich schon gehört, dass dominantes Verhalten alleine schon die Rangfolge klärt. Doch haben wir ja bereits gelesen, dass Dominanz alleine auch bei einem Leithengst nicht reicht. Auch er muss sich das Vertrauen, dass er die Herde zusammenhalten kann, zunächst einmal verdienen. Chevalie beschreibt dieses Umdenken, weg von der Dominanz, sehr schön in ihrem Artikel „Dein Pferd testet dich! Jetzt setz Dich doch mal durch!“. […]
Sicher können pferde was mit Absicht tun, wenn ich das heunetz vor meiner stute am Stall stell und nicht rein hänge schupst sie mich andauernd an, schaut auf dem Netz, schaut zu mir und schupst mich wieder an ich weiß genau was sie will aber das tut sie auch mit Absicht ich kann noch andere beistpiele nennen aber das ginge zu weit
Hallo Susanne,
natürlich können Pferde etwas mit Absicht tun. Ich möchte nicht sagen, dass sie willenlos wären oder dergleichen. Der Artikel besagt lediglich, dass sie Dich nicht „verarschen“. Sie widersetzen sich, ja. Und das ist dann auch Absicht. Allerdings haben sie dafür immer gute Gründe und kein Pferd wird sich jemals widersetzen, weil es Dich „versarschen“ oder „ärgern“ möchte.
LG,
Sophie