Ich wusste es nicht besser
Ich weiß nicht, wie das bei Dir war. Als ich klein war und mit dem Reiten anfing, da hatte ich Zugang zu genau einem Reitstall und genau einem Reitlehrer. Dass ich damit im Nachhinein nicht besonders glücklich bin, das weißt Du ja sicher. Aber damals, da wusste ich es einfach nicht besser. Für mich war es normal, dass Pferde ausgebunden wurden, in Boxen lebten, Stunde um Stunde im Schulbetrieb gingen und Ewigkeiten nichts fraßen. Es war normal, dass man sich „eben mal durchsetzen“ muss, wenn „das Pferd einen verarscht“. Es war völlig selbstverständlich, dass wir ritten, wenn wir zum Unterricht kamen. Auf die Idee, dass uns ja auch mal jemand Bodenarbeit oder vernünftiges Longieren beibringen könnte, darauf sind wir nicht gekommen. Und zwar weil wir nicht wussten, dass es das gibt. Mit Pferden tat man damals nur zwei Dinge: Kuscheln (beim Putzen, während man das Pferd für die Stunde fertig machte) und Reiten. Ich liebte die Pferde über alles, deshalb machte es mir auch (fast) nichts aus, dass ich in der Reitstunde angebrüllt wurde und dass viele von uns regelmäßig weinend auf den Pferden saßen. Hauptsache wir waren bei den Pferden.
Aber als ich ein bisschen älter wurde und merkte, was wir da eigentlich mit den Pferden veranstalteten, da war für mich schnell klar: Das möchte ich eigentlich gar nicht. Es ist mir damals sehr schwer gefallen, aber meine Entscheidung stand fest: Ich reite nicht mehr. Und damit war es vorbei. Natürlich hätte ich mich nach einem anderen Stall, einer anderen Art des Reitens, des Unterrichts, des Umgangs überhaupt umsehen können. Wenn ich gewusst hätte, dass es das gibt. Aber ich wusste es nicht. Ich dachte, dass der Umgang mit Pferden eben so sein muss. Und unter diesen Umständen wollte ich das dann eben nicht.
Wenn Du nicht weißt wonach Du suchen sollst, dann können Informationen unerreichbar sein
Einige von euch können sich das vielleicht gar nicht vorstellen, aber als ich klein war, da gab es noch kein Internet. Jaaa, so alt bin ich schon! Natürlich gab es Bücher und sicher auch irgendwo Veranstaltungen, aber das muss man auch erstmal wissen. Ich komme nicht aus einer Reiterfamilie und meine Reiterfreunde waren in demselben Stall wie ich damals – und taten dieselben Dinge wie ich. In dem Alter habe ich noch geglaubt, dass Erwachsene alles wissen und wenn die sagen, dass man etwas so machen muss, dann wird das wohl so sein. Jedenfalls bin ich nicht auf die Idee gekommen Bücherhallen zu durchstöbern (und selbst wenn, dann wäre es fraglich, ob ich dort gefunden hätte was ich suchte). Und ich konnte das eben auch leider nicht googlen. Der Weg zu Informationen war damals so viel weiter. Und die erreichbaren Informationen so viel eingeschränkter!
Das Internet hat nicht nur die Welt revolutioniert, sondern auch die Reiterwelt. Hätte es Google und all diese wunderbaren Informationsquellen schon gegeben, die es heute gibt, dann hätte ich vielleicht „Umgang mit dem Pferd“ gesucht und wäre im nächsten Moment schon bei Wege zum Pferd oder einer anderen wunderbaren Seite gelandet. Heute trennen mich nur ein paar Klicks von der Information, die mir damals so sehr geholfen hätte. Aber damals, da war sie meilenweit weg und für mich ziemlich unerreichbar.
Wir sollten zu schätzen wissen, was uns das Internet geschenkt hat
Ich bin heute unheimlich dankbar für all das Wissen, auf das ich direkt zugreifen kann. Damit meine ich viele wunderbare Seiten und Blogs aus den verschiedensten Sparten der Reiterei, wie z.B. die Blogs von Alessa, Führpferd, Pferde verstehen, Herzenspferd oder Ponyliebe. Egal ob Clickertraining, NHS, Freiarbeit oder Wandern mit Pony – das alles ist mir so nah wie noch niemals in der Geschichte von Mensch und Pferd. Das Internet hat uns Freiheit gebracht. Die Freiheit, verschiedenes kennenzulernen und uns den richtigen Weg für uns und unser Pferd selbst auszusuchen. Denn seien wir ehrlich: Wieviele von uns hätten sonst je den Mut gefunden, eigene Wege zu gehen, wenn wir keine Vorbilder gehabt hätten? Ich wahrscheinlich nicht. Ich denke, Pferde wären dann einfach nicht in mein Leben zurückgekehrt. Und da ich heute so glücklich bin wie nie zuvor, wäre das doch echt ein Jammer gewesen…
Aber es sind nicht nur diese Seiten, die uns diese Freiheit schenken. Viel mehr noch sind es Du und ich und die Tatsache, dass wir uns austauschen können. Nicht ich als Blogger, sondern wir als Pferdemenschen. Früher konnte ich nur diejenigen um Rat fragen, die auch bei mir im Stall waren. Menschen, die alle dasselbe machten wie mein Reitlehrer und ich. Heute kann ich von Deinen Erfahrungen und denen tausender anderer Pferdefreunde profitieren. Ich finde Gruppen zu jedem Thema, das mich interessiert. Ich kann mir unendlich Inspiration holen, mich austauschen und wir alle könnten uns so wunderbar unterstützen.
Nutzt die Möglichkeiten und hört auf zu pöbeln!
Aber statt genau das zu tun, um das Leben so vieler Pferde nachhaltig zu verbessern, lassen wir uns so oft auf Kleinkriege ein. Diskussionen arten regelmäßig aus, Fehden entstehen, Intrigen und ganze Gruppen geraten darüber in Auseinandersetzungen. Das Schlimme daran ist, dass wir nicht nur uns selbst damit schaden. Wir ärgern uns, beschimpfen uns, kritisieren andere für ihre Unwissenheit, wenn wir ihnen stattdessen helfen könnten. Aber vor allem schaden wir damit den Pferden. Denn ist es nicht unsere Verantwortung alles in unserer Macht stehende zu tun, um unseren Freunden gute Partner zu sein? Und zwar nicht nur unserem eigenen Pferd. Jedes Mal, wenn es zu einer dieser leidigen Auseinandersetzungen kommt, verschenken wir eine Chance das Leben eines Pferdes zu verbessern! Wer ein echter Pferdefreund ist, der wird die Gewissheit, einem Pferd nachhaltig geholfen zu haben der kurzen Genugtuung des Lästerns vorziehen. Und zwar jedes einzelne Mal.
Trotzdem lassen wir uns allzu oft dazu verleiten, Dinge zu verallgemeinern, wilde Rückschlüsse zu ziehen oder uns über Bitten oder Fragen rücksichtslos hinwegzusetzen. Im Internet ist es leicht so zu tun als wüsste man alles (Daniela von Fair Riding Corp hat für diese Spezies den wunderschönen Begriff URI eingeführt), das Problem ist nur, dass man damit niemandem hilft – außer seinem Ego vielleicht. Aber wir alle haben doch im Grunde dasselbe Ziel: Wir wollen das Beste für die Pferde. Wenn es mehr darum und weniger um Annahmen, Überzeugungen und Ideologien gehen würde, dann werden plötzlich auch konstruktive Diskussionen wieder möglich. Ich merke das hier auf meinem Blog zum Glück immer und immer wieder. Es müssen nicht alle einer Meinung sein, um sich auszutauschen. Aber es müssen alle bereit sein konstruktiv zu diskutieren. Und wenn wir das tun und gleichzeitig offen für andere Ideen sind, dann können wir alle davon profitieren.
Wenn also das nächste Mal jemand irgendwas „richtig dummes“ postet, dann lasst uns alle einmal tief durchatmen, unsere erste Empörung und unseren Ärger runterschlucken und lasst uns versuchen demjenigen zu helfen. Wirklich zu helfen.
Dieser Post soll eine Erinnerung für uns alle sein. Wenn Du mal wieder mitten in einer Diskussion steckst, die gerade ausartet, dann poste diesen Artikel und erinnere alle daran, dass wir uns gegenseitig helfen sollten!
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2 comments
Liebe Sophie,
ich habe in der Vergangenheit viele Fehler gemacht und vieles mit den Pferden gemacht, was ich heute zutiefst bereue. Und das Ganze obwohl ich eigentlich ganz am Anfang zwei Lehrer (ein Pony und ein Reitlehrer) hatte, die mir etwas anderes beigebracht haben. Aber als Kind und Jugendliche war ich eben noch sehr beeinflussbar und bin irgendwie vom Weg abgekommen. Erst mein erstes eigenes Pferd hat mich dahin zurückgebracht. Dafür bin ich sehr dankbar, wenn es auch ein schwieriger und schmerzhafter Weg war. (Mein erstes Pferd war durchaus für die die Prügelstrafe, wenn ich nicht gleich kapiert habe, was er mir sagen will 😉 ).
Ich versuche möglichst immer nur von meinen Erlebnissen zu berichten und keine wirklichen Ratschläge und Tipps zu geben. Ich glaube gerade bei Themen bei denen ich sehr emotional werde gelingt mir das nicht immer. Aber ich versuche es zumindest. Ich kann keine Ratschläge für andere Pferd-Mensch-Teams geben, denn ich kenne sie nicht wirklich. Und jeder muss für sich den Weg finden der zu sich und seinem Pferd passt. Hier läuft auch nicht alles super. Es gibt auch kleinere und größere Probleme, aber im Großen und Ganzen bin ich mit meinem Umgang mit meinen Tieren sehr zufrieden.
Liebe Grüße
Miriam
JA! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!